Auf dem Dach von Borneo

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Blick vom "Dach"

Tag 1: Es gibt da so einen Berg

Wir sitzen auf der Dachterrasse unseres Hostels in Kuala Lumpur, als ein Holländer zu uns herüberhinkt. Eigentlich wollte er ja nach Borneo fliegen und Mount Kinabalu besteigen, erzählt er, aber dann… Es folgt eine Geschichte, die mit drei Mückenstichen beginnt, über ein entzündetes Bein in ein thailändisches Krankenhaus und 4 Tage und 4000 Euro später auf eine kunterbunt-betrunkene Vollmondparty führt. Jetzt fliegt er frühzeitig heim, der Holländer, mit seinem Verband, der immer noch bis knapp unter sein Knie reicht. Mount Kinabalu, sagen wir, aha. Wir haben immer noch vor, unseren Flug nach Sri Lanka umzubuchen, da Plan A, ein Besuch in Thailand, der Überschwemmungen wegen keinen Sinn mehr macht.

 

Tag 2 und 3: Im Westen Malaysias

Palmölplantagen ziehen an den Busfenstern vorbei. Wir fühlen uns dank Klimaanlage wie in einem motorisierten Kühlschrank, während die Straße bei 35 Grad in der Sonne flimmert. Heute morgen waren wir kurz im Internet, und AirAsia hat uns den Thailandflug immer noch nicht in Flugpunkten zurückerstattet. Trotzdem blättere ich optimistisch im Sri Lanka Reiseführer. Jetzt geht’s erstmal für drei Tage nach Malakka.

 

Tag 4: Der Berg ruft

Das mit Sri Lanka wird nichts. Nach fast einer Stunde in der Warteschleife habe ich endlich einen Vertreter von AirAsia am Telefon, der vorschlägt, wir buchen den Flug einfach direkt um. Dann fällt unser Plan B allerdings nicht in die möglichen Ziele. Er sagt, er könne uns später zurückrufen, so zwischen drei und fünf Uhr… “Stopp!”, sage ich, “Bleiben Sie dran!” Wie wäre es mit Borneo? “Wo ist denn der Berg, von dem der Holländer erzählt hat?”, fragt meine Schwester und blättert hektisch im Reiseführer, während ich den Air Asia Mann in der Leitung behalte. “Kinabalu, oder, so hieß das doch…” Sie blättert weiter. “Ich glaub dann müssen wir in die Stadt Kota Kinabalu.” Und zack, ich buche den Flug. Für morgen.

 

Tag 5: Kein Zurück mehr

Von Malakka nach Singapur mit dem Bus, von Singapur nach Kota Kinabalu im malaysischen Borneo mit dem Flugzeug. Wir haben heute viel Zeit zum Nachlesen, Nachdenken und Diskutieren, und wir einigen uns darauf, dass wir vor unserer Mount Kinabalu Besteigung nochmal einkaufen gehen. Wenn die überhaupt klappt – in unserem Reiseführer steht, dass man monatelang vorausbuchen muss. Die Frau am Schalter der Sutera Lodges allerdings beantwortet unsere Frage mit: “Ja, wann wollen Sie denn los? Morgen?” Meine Schwester strahlt, ich schlucke. “Übermorgen?” Okay.

 

Tag 6: Vorbereitung

In der Handschuhabteilung sehen wir ein verdächtig europäisch aussehendes Pärchen und es stellt sich heraus, dass die beiden auch morgen auf den Mount Kinabalu wollen. Prompt verabreden wir uns, einen Minibus zum Berg zu teilen. Dann gehen wir in eines der wenigen europäischen Restaurants im Ort und essen Spaghetti Bolognaise, damit wir uns nicht doch noch den Magen verderben. Was allerdings vor uns auf dem Teller liegt, ist eine geschmacklose Fertigmischung, an der eine echte Tomate nichtmal vorbeigerollt ist. Wir wollen heute zumindest gut schlafen, also leisten wir uns ein klimatisiertes Doppelzimmer in der Nähe der Buszentrale und gehen früh ins Bett. Leider haben wir die Bar um die Ecke übersehen und es stellt sich heraus, dass Freitagabends hier die größte Party von Kota Kinabalu steigt, inklusive Livemusik und Karaoke. Es ist Freitag.

 

Tag 7: Aufbruch

Wir rollen uns um 5 Uhr aus den Federn und wanken zur Buszentrale. Die Holländer sind schon da – sie strahlen uns mit ihren hellen, ausgeschlafenen Augen an und erzählen von einem ruhigen Hotel zwei Straßen weiter. Es hat genausoviel gekostet wie unseres…

 

Zwei kurvenreiche Stunden später steigen wir an der Kinabalu-Parkzentrale aus dem Minibus und treffen Edmund, unseren Bergführer aus dem Stamm der Kadazandusun. Die Kadazandusun sehen sich als die Hüter des Mount Kinabalu. Für sie ist der Berg ein heiliger Ort, an dem ihre Vorfahren ruhen. Der Name des Berges kommt aus ihrer Sprache, von den Worten “aki” (Ahne) und “nabalu” (Berg).

 

Unsere Wanderung beginnt auf 1866 Metern beim Timpohon Tor, und es sind sechs Kilometer bis zur Laban Rata Hütte, in der wir die Nacht verbringen werden. Ungefähr alle 1000 Meter befindet sich eine kleines Häuschen mit Klo und frischem Wasser. Reiseführer und Parkbroschüre schätzen die Wanderdauer auf vier bis sieben Stunden. Nun klingen sechs Kilometer ja nicht nach besonders viel; von den Alpen sind wir Wege in halbsteilem Zickzack gewohnt, ab und an auch mit präzise eingezogenen Treppen. Wer auch immer hier für den Weg verantwortlich war, war ein Fan von kurzen Distanzen, und so sind die sechs Kilometer eine einzige Treppe. Teils aus Holz und mit Reling, teils einfach wie gefunden aus Stein und Fels, sodass eine Stufe locker mal einen halben Meter in die Höhe ragt. Ufff.

 

Der Weg ist eine einzige Treppe

Um uns herum ist Urwald: hohe, bemoste Bäume umringt von klarer, kühler Luft. Eine willkommene Abwechslung zur klebrigen Hitze der Stadt. Als wir an der dritten Hütte ankommen, bricht die Sonne kurz durch und wir klatschen uns Sonnencreme auf die Nasen – sehr zur Belustigung der einheimischen Bergführer, die uns rauchend dabei zusehen. Edmund lächelt nur schüchtern. Er hält die ganze Zeit einen Abstand von mindestens drei Metern und lässt uns vorausgehen. Wenn wir ihm Fragen stellen, antwortet er nur kurz und in gebrochenem English.

 

Die Sonne verschwindet wieder und Nebel zieht auf. Je höher wir steigen, desto dichter wird er, und die Temperatur sinkt. Wir machen eine Schokoladenpause und schaffen es sogar, Edmund herbeizulocken und ihm ein Stück abzugeben. Grinsend beobachtet er mich, als ich schon wieder Photos von unserer Umgebung mache.

 

Ungefähr bei Kilometer fünf – wir sind jetzt auf 3050 Meter – sehen wir ein Schild Richtung Paka Höhle. Können wir da hin? Edmund nickt, und geht voraus. Ein kleiner, überwucherter Weg führt durch den dichten Dschungel. Einheimische Farne strecken sich nach uns aus, Äste versperren uns den Weg. Edmund springt flink wie ein Eichhörnchen vor uns her, während wir wie blinde Nilpferde hinter ihm her trampeln, rutschen und krabbeln. Die Höhle selbst ist unspektakulär: ein Felsvorsprung, unter dem Wanderer früher campiert haben. Und schon geht es weiter durch den Urwald… wir sind froh, wieder auf dem Gipfelweg anzukommen. Dort begegnen wir prompt einer britischen Reisegruppe, die auf dem Weg nach unten ist. “Achtung vor der Höhenkrankheit”, sagt eine Frau, “fünf von uns zehn konnten deswegen nicht auf den Gipfel.” Kaum hat sie ausgesprochen, wird mir schwindelig. Meine Schwester rollt mit den Augen, aber wir machen trotzdem eine Pause, bis meine Einbildung sich wieder beruhigt hat.

 

Die Haupthütte

Viereinhalb Stunden haben wir hinter uns, als wir bei einbrechendem Regen endlich die Hütte erreichen. Das Mittagsbuffet sieht einladend aus. Wir häufen gebratene Nudeln, Gemüse und Fleisch auf unsere Teller und freuen uns, dass wir nichts davon hochtragen mussten. Auch zu Tee und heißer Schokolade sagen wir nicht nein, und füllen unsere Flaschen mit Trinkwasser. Nachdem wir uns gestärkt und aufgewärmt haben, machen wir uns auf den Weg zu unserem Zimmer, das sich in einer 250 Meter entfernten Hütte befindet. Nun klingen 250 Meter ja nicht nach besonders viel… richtig geraten, sie sind so gut wie senkrecht.

 

Nach ein paar Stunden voller Erholung, Begegnungen und einem weiteren Essen wird es Zeit, zu schlafen. Damit haben wir ungefähr so viel Glück wie neben der Karaokebar: auf dem Gang wird eine Reisweinparty abgehalten und als die endlich zuende ist, hört man die Höhenkranken besser, die sich im Badezimmer nebenan das von den Trägern so mühevoll heraufgeschleppte Essen noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

 

Tag 8: Der Gipfel

Um 2.15 Uhr klingelt unser Wecker. Wir ziehen lange Hosen und Pullis an, Handschuhe, Mützen und unsere Billigstirnlampen, die wir vorgestern gekauft haben. Dann stopfen wir uns am Frühstücksbuffet die Bäuche voll und füllen unsere Flaschen mit einer Mischung aus kaltem Wasser und dem heißen Wasser, das eigentlich für Tee gedacht ist – eine grandiose Idee, wie sich später herausstellt.

 

2.35 Uhr, Edmund nickt uns zu. Wir nicken tapfer zurück und los geht’s. Draußen ist es stockdunkel. Der Weg führt, wie nicht anders erwartet, steil bergauf. Nur dieses Mal sind alle Wanderer gleichzeitig aufgebrochen, und eine lange Schlange von Menschen windet sich vor uns in die Höhe. Wir kraxeln und klettern, die Menge lichtet sich ein bisschen. Auf 3668 Metern eine kleine Station, wo wir unsere Anhänger herzeigen müssen. Bürokratie hat also doch keine Höhenbegrenzung.

 

Dann sind wir über der Baumgrenze und ich gucke nach Sternen. Man muss dazusagen, dass ich ein Fan von Sternbildern bin. Aber jetzt gucke ich nach oben und erkenne… nichts! Kein grosser Wagen, keine Kassiopeia, kein Schwan, kein Delphin, kein Orion… doch. Da. Er steht auf dem Kopf. Mit Erleichterung kapiere ich, dass wir schon fast auf der Südhalbkugel sind, und finde auch kurze Zeit später schon das Kreuz des Südens. Ich grinse in die Dunkelheit hinein. Meine Schwester sieht sich nach mir um und blendet mich mit ihrer Stirnlampe. Aah!

 

Ab der Baumgrenze gibt’s fast nur noch Granit, nur hier und da halten sich ein paar Büschel Gras oder Moos in einem Spalt. Eine weitere Neuheit sind die Seile, an denen wir uns entlanghangeln. Manchmal scheinen diese eher zur Orientierung gedacht, manchmal muss man sich daran regelrecht nach oben ziehen. Der Granit funkelt im Licht unserer Stirnlampen. Bevor wir diese Region erreicht hatten, war Edmund kaum mehr als ein höflicher Schatten, der ab und zu grinsend Schokolade angenommen hat. Jetzt geht er voraus, warnt uns vor schwierigen Stellen, steht stolz im Wind während wir hinter Felsvorsprüngen kauern und unser inzwischen lauwarmes Wasser trinken. Ich brauche immer mehr Pausen, die Luft wird dünner. Hinter uns sehen wir eine lange Schlange Lichtlein, die sich den Berg hinaufwinden. Es ist immer noch dunkel.

 

Sonnenaufgang

Bald ist der Gipfel in Sicht, es kommt noch ein steiles Stück und dann ist über uns auf einmal nur noch der Himmel. Wir umarmen uns und lachen – tatsächlich, der Gipfel! Es ist fünf Uhr, und kalt. Aber wir können bis nach Kota Kinabalu sehen, von hier aus eine freundliche Lichtersammlung. So langsam wird es auch ein bisschen heller. Richtung Sonnenaufgang sehen wir Wolken, allerdings sind sie unter uns. In die andere Richtung klare Sicht nach unten, die dunklen Hügel von Sabah strecken sich bis zum Meer. Der Ausblick wirkt wie aus einem Flugzeugfenster.

Da sitzen wir nun. Und warten. Wir kauern zwischen den Felsen. Ich mache Photos bis meine Hände fast einfrieren, dann springe ich herum und wedele mit den Armen. Wir verteilen Schokolade. Und dann geht die Sonne auf.

 

4095,2 Meter. Eine tiefe Schlucht Richtung Sonne: Low’s Gully. Wo wir hergekommen sind, eine Granitlandschaft. Um den Berg herum grüne Hügel, kleine Dörfer. Borneo streckt sich in alle Richtungen und die Luft hier oben ist so klar, so kalt. In einer Richtung sieht man bis in alle Täler.

 

Blick ins blaue Borneo

Eine Weile hängen wir noch auf dem Gipfel herum, dann machen wir uns auf den Rückweg. Die Sonne strahlt und nach und nach wandern Mützen und Handschuhe zurück in unsere Taschen. Unser Wasser ist inzwischen angenehm kühl. Wir laufen über den Granit und sehen so, so weit.

 

Nun klingt das alles ganz romantisch und erhellend und umwerfend, und doch spüre ich schon meine Knie und ich weiß, von hier oben sind es neun sehr steile Kilometer bis zum Timpohon Tor. Kommen wir hier auch heil wieder herunter?

 

Mehr oder weniger, wie sich herausstellt. In der Hütte gibt es wieder ein großes Buffet. Von dort sind es noch sechs Kilometer. Aus knallender Sonne geht es hinunter in kühlen Nebel und den letzten Kilometer humpele ich, weil mein rechtes Knie streikt. Aber bald wird alles gut: zurück in Kota Kinabalu purzeln wir in ein stilles klimatisiertes Doppelzimmer und schlafen. 16 Stunden lang.

 

 


von barbara am 08.Mrz.2012 in globus

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