Sonnige Nächte #3: … und vor uns nur noch die Arktis

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Wir sind am Nordkapp.

 

Teuer, zugig, von Touristen überlaufen… Es hörte sich nicht unbedingt nach einem attraktiven Ort an, dieses Nordkapp. Aber bis zum nördlichsten Norden Skandinaviens Reisen um dann nicht die Spitze zu berühren, das ging dann irgendwie auch nicht. Das wäre ja wie wenn man in der Kletterhalle bis zur Decke klettert und dann nicht – batsch! – dagegenschlägt, bevor man sich wieder abseilt.

 

Am späten Abend steige ich in Honningsvåg in den Bus und habe alle Kleiderschichten an, die sich aus meinem Rucksack hervorziehen lassen. Bis jetzt war das Wetter auf meiner Seite: Die Sonne strahlte Tag und Nacht, der Himmel war hoch und blau und offen, und ich zog mit Jeans, T-Shirt und Sonnenbrille durch Norwegen. Der nördlichste Punkt des Landes, ja, des Kontinents, soll anders sein.

 

Nach 35 Kilometern Fahrt liefert der Bus mich und ein paar andere auf dem Parkplatz des Tourismuszentrums „Nordkapphallen“ ab. Dort stehen schon mindestens 30 Reisebusse. Na das kann ja was werden, denke ich. Vor uns ein langgestrecktes Gebäude, von Nebel umflutet. Der einzige Weg ans Nordkapp führt hier durch, und dorthin fließt auch das Geld: 60 Euro für einmal Studenteneintritt plus Busfahrt. Ich werde die nächsten Tage mal wieder von Knäckebrot und Käse leben.

 

Der Touristentempel "Nordkapphallen", vom Nordkapp aus gesehen.

Wir zeigen unsere Tickets und treten ein. VELKOMMEN WELCOME WILLKOMEN BIENVENUE UNDSOWEITER. Postkarten, überteuerte Heißgetränke, Souvenirs quellen uns entgegen. Eine Fensterfront nach vorn, die Sonne scheint von draußen herein – dort will ich hin. Lauter Menschen, Menschen, Menschen. Wo kommen die eigentlich alle auf einmal her? In der Jugendherberge waren in meinem Zimmer nur drei von zehn Betten belegt.

 

Kurz flammt in mir der für Touristen so typische Unmut gegen andere Touristen auf: Was machen diese ganzen Idioten hier? Ich bin doch schließlich die einzige, die auf die WIRKLICH wichtigen Erlebnisse des Reisens achtet, die das Land WIRKLICH kennenlernt und nicht dauernd nur Photos macht… Blödes Touristenpack. Dann greife ich auch schon fröhlich zu meiner Kamera. Los geht’s!

 

308 Meter über dem Meer – endlich lichtet sich der Nebel.

Draußen scheucht der Wind Nebel über das Kapp. Man sieht kaum etwas. Ich folge den Menschenmassen und gelange an die berühmte Weltkugelskulptur, die zugegebenermaßen schon sehr groß und beeindruckend ist. Dann stelle ich mich an den Zaun und blicke nach Norden. Nebel, Nebel, Nebel.

 

Der echte nördlichste Punkt Skandinaviens ist das hier übrigens nicht. Der Knivskjelodden (der was? …genau) ist 1,5 Kilometer nördlicher – es gibt also den nördlichsten und den allernördlichsten Punkt. Schwer zu erreichen und angeblich komplett unspektakulär, dieser nördliche Knivski. Naja. Was für ein komisches Wort eigentlich: nördlicher. Je öfter ich es schreibe, desto bescheuerter klingt es. Nördlicher. Nööööördlicher.

 

Hachja. Ratlos stehe ich mit hunderten von anderen Menschen herum. Der Nebel zieht in Streifen an uns vorbei. Wir warten. Es ist kalt. Es ist 24 Uhr.

 

Dann endlich holt der Wind so richtig Luft und fegt die Wolken vom Nordkapp. Ja, die Klippen unter uns sind senkrecht und es sind 308 Meter bis zum Meer, die Sonne strahlt aus dem Norden, wir blicken auf einen endlosen Horizont, an dem Wasser und Himmel verschwimmen. Vor uns liegt nur noch die Arktis.

 

Sonne, Menschen, Mitternacht.

Einen kurzen Moment lang hat es allen die Sprache verschlagen. Dann klatscht jemand. Jemand anderes jubelt. Mehrere Leute jubeln. Mehrere Leute klatschen,jubeln… und lachen. Ich lache auch. Irgendwie habe ich es bis zum fastallernördlichsten Punkt des europäischen Kontinents geschafft. Ich bin hier – wir sind alle hier. Wir sind alle Touristen. Wir sind alle glücklich, und: verdammt, unsere rechten Zeigefinger sind vom vielen Knipsen jetzt schon fast eingefroren.

 


von barbara am 08.Aug.2012 in globus

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