Wenn Ziegelsteine schweben
Dieser Text ist im Rahmen der Blogparade von Tanja Praske entstanden, Thema: Mein faszinierendes Kulturerlebnis. Danke für die Einladung!
Es ist ein hoher, weiß gestrichener Raum, von dessen Decke die Ziegelsteine hängen, in unterschiedlichen Höhen und an leuchtend roten Seilen. Schon auf den ersten Blick wirkt die Installation “Hanging Piece” von Kendell Geers befremdlich, sind Ziegelsteine doch normalerweise fest mit dem Boden verankert: räumeschaffend, rahmengebend, schwer. Hier aber, im Haus der Kunst Anfang Juni, macht sich sogar ein kleiner Luftzug bei den herabhängenden Steinen bemerkbar. Wo normalerweise tonnenschwere Abrissbirnen benötigt werden, reicht hier eine Klimaanlage, und schon bewegen sich die Brocken aus gebranntem Ton ganz leicht, ganz leise. Sie wirken bedrohlich.
Die Installation misst ungefähr 3 m x 3 m. Man dürfe sie auch betreten, sagt mein Freund, der diese Ausstellung schon gesehen hat. Ja? Aus den Augenwinkeln beobachte ich die Museumsaufsicht und wage den ersten Schritt. Sie rührt sich nicht. Okay. Um mich herum schweben die Steine, ziemlich nah beieinander und ich ducke mich, weiche aus, nach links und nach rechts und bin vorsichtig, keinen zu berühren. Als ich auf der anderen Seite herauskomme, schwanken die, an denen ich vorbeigegangen bin, etwas stärker an ihren roten Seilen hin- und her als zuvor. Ob ich die Steine wohl anfassen darf? Ich strecke meine Hand aus. Die Museumsaufsicht reagiert nicht. Okay. Ich gehe los. Ich tauche ein. Nur leicht schiebe ich sie an, mal hier mal da, mal in diese Richtung, mal in jene. Dann etwas stärker, einmal bin ich etwas zu heftig und zwei Steine stoßen mit einem harten Klacken zusammen, das die Stille des Raums kurz und heftig einreißt. Fast alle Ziegelsteine sind jetzt in Bewegung, es wird immer schwieriger, ihnen auszuweichen, immer beklemmter fühle ich mich, still und schwer schwingen die Ziegelsteine um mich herum.
Ziegelsteine also. Die verschiedensten Dinge kann man aus ihnen bauen, Häuser, Mauern, Strukturen, die Schutz und Freiheit bieten, zum Beispiel indem sie eine Privatsphäre gewähren, oder solche, die abgrenzen und einsperren. Aber man kann sie auch einzeln verwenden – als Waffen. Roh, primitiv wirken sie dann im Vergleich zu den Hightech-Arsenalen, die moderne Armeen auffahren können. Mit einem Ziegelstein zu verletzen heißt, nah an das Opfer heranzugehen, direkt und brutal und mit unmittelbarem Körperkontakt. All diese Gedanken schießen einem durch den Kopf, wenn man diesen Raum mit den schwebenden Ziegelsteinen erlebt. Unbemalt, unverarbeitet und rostbraun hängen sie dort an ihren roten Seilen, jeder wie ein farbiger Schrei im sonst so weißen Raum.
Mit seiner “Hanging Piece” hat Kendell Geers ein Erlebnis geschaffen, dass sich sehen, fühlen und hören lässt. So einfach wie das Kunstwerk auf den ersten Blick wirkt, so beeindruckend und brutal ist es, wenn man sich darauf einlässt. Natürlich kann man das Werk auch in seinem Kontext zur Apartheid betrachten, die Geers in Südafrika miterlebt hat, schlaue Analysen machen und kunsthistorische Bezüge herausarbeiten – aber die menschlichen Abgründe, von denen es erzählt, erstrecken sich viel weiter. Lange noch werde ich über dieses Kunstwerk nachdenken. Deshalb gehört es für mich zu den faszinierendsten Kulturerlebnissen dieses Jahres.
2 Kommentare
2 Links
-
Von www.tanjapraske.de am 11. November 2013 um 15:57
[...] Barbara Hiller: “Wenn Ziegelsteine schweben” #Installation #KendellGeers #brutal [...]
-
Von www.tanjapraske.de am 20. Dezember 2013 um 07:02
[...] Schreibstoff, Barbara Hiller „Wenn Ziegelsteine schweben“ Kategorie: Museum – Ausstellungen Barbara faszinierte die Installation von Kendell Geers [...]
Liebe Barbara,
ich habe selten eine so einfühlsame Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk gelesen. Und ich bin froh, dass du keine kunsthistorische Betrachtung von dir gibst, sondern einfach nur dein Gefühl und deine Assoziationen – ganz toll! Die Atmosphäre kann ich darüber nachempfinden, einfach nur beeindruckend.
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag zur Blogparade #KulturEr.
Herzliche Grüße
Tanja
Vielen Dank, Tanja! Das freut mich sehr. Ich habe noch nicht alle Beiträge zur Blogparade gelesen, aber so weit sieht das Ergebnis wirklich super aus.
Liebe Grüße
Barbara