Nur einer von vielen
Vor einigen Wochen stieß Nina Pauer mit ihrem Artikel „Die Schmerzensmänner“ in der ZEIT eine Debatte los: Ausgehend von der These, dass die „Mentalitätsreform des alten Männerbildes inzwischen groteske Züge angenommen“ habe, entwirft sie den Stereotyp des modernen Mannes: Der neue junge Mann ist demnach „verkopft, gehemmt, unsicher, nervös und ängstlich“. In Strickjacke gekleidet rattert es aufgrund unendlicher Selbstreflexion und Selbstzweifel permanent hinter seiner Hornbrille. Er weiß nicht mehr, wann man(n) die Frau küssen muss, ist viel zu gefühlsbetont und zerbrechlich, um als starke Schulter zu dienen und macht frau damit nur noch Probleme. Kurz: Er habe „seine Rolle verloren“, sei „schrecklich kompliziert“ und deswegen „auf die Dauer furchtbar unsexy“. Das war provokant, und sorgte natürlich für eine Reihe von Erwiderungen.
Mal eben versuchen, die Emanzipation zurückzudrehen
Beispielsweise von Julia Seeliger, die Pauer in einem Blogeintrag vorwirft, ausgehend von persönlichen negativen Erfahrungen allgemeine Geschlechterklischees zu entwerfen. Damit stellt Seeliger eine interessante Vermutung an, mit der sie wahrscheinlich die Gründe für Pauers Thesen aufgeschlüsselt hat. Denn persönlich frustrierende Erlebnisse mit sich derartig verhaltenden Männern scheinen wohl wirklich der Auslöser für Pauers Kritik zu sein. In dieser Kritik stilisiert sie dann aber jenen Männer-Typus gleich zur gesellschaftlichen Fehlentwicklung hoch – und offenbart so eine enorme Rückwärtsgewandtheit. So versteift sie sich fortwährend in ein „Früher-war-alles-besser“-Denken und wünscht sich ‚echte Männer’ zurück, die noch wissen, wann sie aktiv werden müssen – egal ob Kuss oder Koitus.
Dabei scheint Pauer jedoch einige Punkte zu übersehen. Der ‚echte Mann’ mit der starken Schulter ist nämlich nur ein läppischer Euphemismus für ‚den Macho’, der vor nicht allzu langer Zeit noch die klar vorherrschende Männerrolle darstellte. Jenen Typen also, der als der Inbegriff männlicher Hegemonie gilt. Der sich selbst als ‚Herr’ über die Frau ansieht. Und der zum Glück mehr und mehr an Einfluss verliert.
Und diesen Typus will Pauer konservieren?! Das kann eigentlich nicht ihr Ernst sein. Und das sehen heutzutage eben auch viele Männer so. Diese lehnen überkommene Geschlechter- und Rollenvorstellungen bewusst ab, sind nicht mehr bereit einen ‚Macho’ zu verkörpern und sind reflektierter und gefühlsbetonter – nicht nur, aber eben auch für geliebte Personen, die oft eben auch Frauen sind.
Wo ist da das Problem?! Wiegt für Pauer verglichen mit dem Stereotyp des ‚Machos’ also die „Kompliziertheit“ mancher heutiger Männer schwerer, als die Unterdrückung und Unfreiheit durch den Mann in alten Tagen?! Gut, wenn dem so ist, kann sie sich ja auch gerne einen anderen Mann nehmen, der ihren Vorstellungen eher entspricht. Denn, auch wenn ihr Text einen anderen Eindruck erweckt, diese existieren durchaus noch. „Aber beschweren soll sie sich danach nicht“, wirft Seeliger ein, wenn sie ein solches „Macho-Arschloch“ dann geheiratet hat. Ja, kann man so sagen.
Dabei scheint es, als habe Pauer Angst und wirke überfordert mit der neuen ‚Komplexität’ ihres Gegenübers. Dies kann sie natürlich so empfinden. Sie kann ihr Unbehagen auch öffentlich artikulieren. Nur sollte sie sich dabei nicht anmaßen, für alle jungen Frauen zu sprechen. Sie wünscht sich selbst in eine Welt der klaren Gegensätze zurück, als der Mann noch nur aktiv und die Frau noch nur passiv waren. Anders zumindest ist ihre Sehnsucht nach dem schnell und entschlossen handelnden Mann, dem sie sich nur noch hingeben muss, nicht zu erklären. Damit vertritt sie jedoch eine Vorstellung, die nach einem halben Jahrhundert Emanzipation gestrig und überkommen wirkt und daher zu Recht nur noch von den wenigsten geteilt wird.
„Es gibt keine festen Rollen mehr“…
Passend dazu meint Seeliger dann auch abschließend in Richtung Pauer, dass ein anderes Küssen möglich sei. Was dabei so beiläufig klingt, ist in Wirklichkeit einer, wenn nicht der entscheidende Punkt. Auch wenn für Pauer immer noch nur die altbekannte ‚Mann-küsst-Frau’-Kussszene existieren mag, so sind die Geschlechts- und Rollenvariationen heute vielfältigst. Ähnlich sagt daher auch Jenny Friedrich-Freksa in der FAZ „die Möglichkeiten, was man als Mann oder Frau alles sein kann, haben sich vervielfacht“ in unserer Gesellschaft, denn „für beide Geschlechter gilt: Es gibt keine festen Rollen mehr“. Und das ist eine tolle Nachricht!
… und das ist auch gut so!
So erlaubt unsere pluralistische Gesellschaft heute eben auch, dass unterschiedlichste Vorstellungen von homo- und heterosexueller Weiblichkeit, Männlichkeit, Transgender, Intersexuellen und allem, was dazwischen liegt, neben- und miteinander existieren können. Auf diese Weise wird die Hegemonie einzelner tradierter Rollenvorstellungen gebrochen, mit der Folge, dass ein zwangloses Nebeneinander möglich wird, indem jeder seinen eigenen Vorstellungen entsprechend leben und lieben kann. So ist dann eben auch der ‚gefühlsbetonte moderne Mann’ nicht der allein vorherrschende Typ, sondern nur einer von vielen. Aber eben auch einer, der sich aufgrund mancher als ‚weiblich’ konnotierter Eigenschaften erst mit dem Bedeutungsverlust des heterosexuellen Machismus besser, da freier, entwickeln und entfalten konnte.
Daher „Schluss mit dem Identitätsgewichse“, wie es Margarete Stokowski und erneut Julia Seeliger gemeinsam in der taz fordern. Die beiden freuen sich dabei ein Loch in den Bauch über die „neue Unübersichtlichkeit“ der Geschlechtsrollen, dem man sich nur anschließen kann. Die durch die enorme Vielfalt entstandene Unübersichtlichkeit, macht nämlich die Diskussion um eine, oder wenige zentrale Rollen obsolet. Statt nach Eindeutigkeit zu suchen, sollte lieber die Vielfalt gelebt werden. Es dauert hoffentlich nicht allzu lange, bis das auch im Feuilleton ankommt.
Es leben die Dinosaurier und antiquierte Rollenbilder!
http://www.graphitti-blog.de/files/2012/01/Was-sich-Frauen-w%C3%BCnschen.png
Es kann also doch noch vorkommen…. Chris und ich sind einer Meinung bei einem Gender-Thema!
Der Text von Nina Pauer zeigt für mich ein Nichtverstehen der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen. Nicht die soften Hipster, die Pauer beschreibt, sind das Problem, sondern Menschen wie sie, die sich in die Ecke gedrängt fühlen, weil nicht mehr gilt, was für sie immer fest stand. Es ist der verzweifelte Versuch die Schuld bei Anderen zu suchen, weil man selber nicht bereit ist seine gewohnte Handlungsmuster zu hinterfragen.
“Doch was als eine begrüßenswerte Mentalitätsreform des alten Männerbildes begann, hat inzwischen groteske Züge angenommen. Das eigene Leben reflektierend und ständig bemüht, sein Handeln und Fühlen sensibel wahrzunehmen, nach außen zu kehren und zu optimieren, hat er sich auf einer ewigen Metaebene verheddert, von der er nicht wieder herunterkommt.”
(http://www.zeit.de/2012/02/Maenner/seite-1)
Wie schön wäre eine Welt, in der alle Menschen (auch Nina Pauer) sich selbst nichtmehr so wichtig nehmen würden? Einen Moment innehalten würden, um zu reflektieren was sie tun? Wird eine Handlung nicht ungleich wertvoller, wenn sie im Einklang von Körper UND Geist geschieht. Ist ein Kuss, der “von Herzen” kommt nicht wesentlich schöner als das – und auch hier wiederspreche ich Pauer – noch immer weit verbreitet club-aufriss-gehabe?
Und wenn Nina Pauer (und ich spreche bewusst von ihr und nicht den zahllosen anderen unglücklichen Frauen dieser Welt) die beschriebene Situation schon so häufig durchlebt hat, kam sie nie auf die Idee selber initativ zu werden? Aber nein, das wäre ja wieder ein Bruch mit dem guten, alten Rollenbild!
Vielleicht würde ihr Gitarre spielender Softy ja auch initiativ, wenn sie sich ein wenig eindeutiger mitteilen würde. Wenn sie sich – “reflektierend und ständig bemüht, [ihr] Handeln und Fühlen sensibel wahrzunehmen” – bewusst für ihn entscheiden würde und nicht auf irgendein Männchen warten würde, das vielleicht eine noch tiefere Stimme oder breitere Schultern hat.
Das Frau Pauer ihrer Zeit ein gutes Stück hinterher ist, zeigen auch Formulierungen wie …”und hört wunderbar melancholische Mädchenmusik” (http://www.zeit.de/2012/02/Maenner/seite-1).
Bestimmt hat ihr Softy-Freund als Kind auch mit Puppen gespielt, anstatt mit Soldaten und Transformers wie es sich für einen echten Jungen gehört.
Bei so einer verlorenen Seele “regt sich nichts als der Wunsch, ihn tröstend in den Arm zu nehmen, anstatt sich flammend an seine starke Brust zu werfen.” (http://www.zeit.de/2012/02/Maenner/seite-2)
Schade, dass wir in einer so verkommenen Welt leben Frau Pauer. Einer Welt in der wir Farbe sehen anstatt Schwarz und Weiß – Dabei ist monochrom doch alles so viel einfacher!
Bei Gelegenheit werde ich auch noch einen Artikel zum Thema schreiben, bis dahin sei erstmal auf diesen Text verwiesen, den ich so weitestgehend unterschreiben kann: warum ich gerne ein sexist bin.
(Passt nicht zu 100% zu deinem Text, passt aber sehr gut zum weiteren Thema)