Nackt sein wie früher, oder: die finnische Sauna

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Nichts als Finnland weit und breit!

Wald, See, Sauna. So meine Vorurteile zu Finnland, und der Blick aus dem Fenster des Busses bestätigt das erstere sofort: Baum reiht sich an Baum, von Menschen keine Spur. Die Seen? Kommen erst noch, weiter südlich. Der Bus holpert und klappert und kracht durch die Schlaglöcher und ich bin froh, als wir endlich Rovaniemi erreichen. Die Stadt liegt am Polarkreis und viel zu gucken gibt es dort nicht; zum Besuch der offiziellen Weihnachtsmanngrotte fehlt mir die Kinderbegleitung und das Museum „Arktikum“  hat heute geschlossen. Meine Wahl fällt auf ein Schwimmbad.

 

Zur Frauensauna geht es direkt aus dem Schwimmbad in den Duschbereich und von dort aus durch eine Glastür, darauf ein Schild in finnisch und englisch plus Piktogramm: bitte nackt. Denn, ich als Saunaanfänger lerne und staune, der Chlor auf dem Badeanzug wird bei den hohen Temperaturen zu giftigem Dampf. Ich gehe also mit meinem Handtuch auf dem Arm hinein und setze mich auf die oberste der zwei breiten Holzstufen. Außer mir ist nur noch eine andere Frau hier. Sie hat lange, weiße Haare und nickt mir zu. Ich nicke zurück, und sie schaufelt eine Kelle Wasser auf die heißen Steine. Zwei Kellen. Drei. Der Dampf wogt zu mir herauf, umhüllt mich. Ich beobachte die Schweißperlen, die sich auf meinen Beinen bilden. Wasser rinnt an mir herunter. Helles Holz, warmes Licht, Stille. Die Welt atmet nur langsam.

 

Die Tür geht auf und ein paar kleine Mädchen, vielleicht acht Jahre alt, kommen in die Sauna. Eine Schulklasse vielleicht? Sie sagen die finnische Version von „Guten Tag“, die Frau antwortet, ich murmele auch etwas, und dann verteilen sie sich vorsichtig auf die Bänke. Jede hat ein Tuch dabei, kaum größer als ein Waschlappen, als Sitzunterlage. So etwas habe ich natürlich nicht: deshalb ist auch mein zusammengefaltetes Handtuch jetzt schon völlig durchnässt, während ihre trocken vor der Sauna hängen. Klug, die Finnen. Saunen will gelernt sein. Wieder das Zischen des Wassers auf den heißen Steinen, und ich spüre jeden meiner Atemzüge. Dampfwolken ziehen an mir herauf. Noch nie habe ich so viele stille achtjährige Mädchen gesehen. Sie sitzen gedankenversunken, manche mit geschlossenen Augen. Was denken sie? Was denke ich?

 

Wärme, Licht. Ein Tropfen löst sich von meiner Stirn, rinnt an meiner Nase entlang, tropft von meinem Kinn. Ein anderer an meiner Wirbelsäule entlang. Ich atme ein. Die Luft ist sichtbar, spürbar, sie verbindet und gleichzeitig trennt sie uns. Ich atme aus. Meine Haare sind heiß. Ich stelle fest, dass mir meine Nacktheit noch nie so wenig aufgefallen ist wie hier. Ich atme ein. Nackt ohne es zu merken. Nackt wie ein Kind. Ich atme aus. Eine Lehrerin steckt den Kopf durch die Tür, flüstert den Mädchen etwas zu. Diese verabschieden sich von uns und sind dann genauso leise wieder verschwunden, wie sie gekommen sind. Gemeinsam, alleine. Ich atme ein. Letztens ein Bild in einem Museum, ein nackter Vater und sein nacktes Kind. Beim ersten Blick: Oh Gott, was ist da los? Beim zweiten: Meine Güte, was für ein furchtbarer erster Blick. Ich atme aus.

 

Noch ein paar Minuten und dann gehe auch ich. Die Frau lächelt mir zum Abschied zu und als ich die Tür öffne, schlägt mir die Kakophonie der Welt entgegen: brausende Duschen, lachende Kinder, quietschende Flipflops. Ich spüle mir den Schweiß von der Haut, aus den Haaren, spüre die Seifenblasen des Schampoos, rieche dessen Geruch – weich, blumig, sauber. Als ich getrocknet, geföhnt und angezogen vor das Schwimmbad trete, regnet es in Strömen. Ich habe keinen Regenschirm. Ich laufe los, der Regen klirrt kalt in mein Gesicht, aber mir ist warm. So warm. Ich spüre meinen Atem immer noch, spüre jeden Regentropfen und grinse den Wolken entgegen. Ein Auto fährt an mir vorbei durch eine Pfütze und ich lache, als das Wasser auf meine Hose spritzt und meine Schuhe durchnässt. In die nächste Pfütze springe ich selbst. Mein Gesicht glüht.

 

Die Finnen wissen schon, warum sie in die Sauna gehen.


von barbara am 29.Sep.2011 in globus

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