“Er hat Jehova gesagt!!!” – oder: Ein Shitstorm im Blätterwald.

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Günter Grass hat ein Gedicht geschrieben. Allerdings: Grass begeht einen “Tabubruch”, der der Deutschen Staatsräson zuwider läuft. Grass findet nicht alles superduper, was die Israelische Regierung so treibt: “Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“, schreibt er. Weiter kritisiert Grass nachvollziehbarer weise, dass das Israelische Atomprogramm nicht internationalen Inspektionen unterworfen ist (Israel hat den Atomwaffensperrvertrag – im Gegensatz zum Iran -  nie unterzeichnet), und prangert die umstrittene Lieferung von Deutschen U-Booten an Israel an. So weit, so trivial. Eigentlich…

 

Neben den vorhersehbaren Reaktionen (tieffliegende Antisemitismus-Keulen) der in solchen Fällen üblichen Protagonisten (allen voran Henryk M. Broder und der Zentralrat der Juden in Deutschland) entwickelt sich eine erstaunliche, manipulative Eigendynamik: In ungeahnter Einigkeit verteufeln die Feuilletonisten von TAZ bis FAZ Grass. Krass. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gedicht findet kaum statt.

 

Einen Tag später begeht Grass den nächsten “Fauxpas”. Anders als etwa Siegmar Gabriel, der jüngst nach einem Besuch in Hebron die untragbaren Lebensbedingungen der Palästinenser als “Apartheid-Regime” gegeißelt hatte, und nach dem ersten Gegenwind Abbitte leistete, legt Grass in Interviews nach. Er widerruft nicht, er verteidigt sein Gedicht.

 

Im Interview mit Tom Buhrow etwa kritisiert er – wohl nicht ganz zu Unrecht – eine “fast gleichgeschaltete Presse” und prangert darüber hinaus die illegale Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten an. Damit hatte niemand gerechnet. Broder vergleicht daraufhin in der Welt mit Schaum auf der Tastatur Grass indirekt mit einem Kannibalen.

Thomas Hinrichs hingegen erklärt dem Fernsehdeutschen in einem lehrerhaften Kommentar, das meiste, dass Grass schreibe sei schlechtweg “falsch“.

 

Sie reden in einem Atemzug von Erstschlag und von aus Deutschland gelieferten U-Booten. U-Boote sind für den Zweitschlag. Als Drohung. Damit man noch reagieren kann, wenn man an Land bombardiert wird.

Hätte die NATO und die “Koalition der Willigen” doch bloß auf Hinrichs gehört, als sie mit von U-Booten abgefeuerten Marschflugkörpern Lybien bzw. den Irak bombardierten. Die sind für den Zweitschlag, ihr Vollidioten!

 

Probieren wir die Situation doch mal etwas nüchterner zu betrachten. Da meldet sich ein Literaturnobelpreisträger “gealtert und mit letzter Tinte” mit einem Gedicht zu Wort, macht sich berechtigte Sorgen um den Weltfrieden, um Spannungen in einer instabilen Region, kritisiert janusköpfige Standards in der Geopolitik und prangert deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet an. Statt dass nun eine inhaltliche Debatte über das Gedicht entbrennt, die deutschen Rüstungsexporte hinterfragt werden, oder die Kriegsrhetorik der beteiligten Staaten verurteilt wird, beginnt ein beispielloser Shitstorm im deutschen Blätterwald.

 

Einzig, was Hoffnung macht: Die mannigfaltigen Diskussionen der Leser unter den Kommentaren sind wesentlich differenzierter und ausgeglichener als die abstruse Hexenjagd der Feuilletonisten.

 

Der Französische Schriftsteller François de La Rochefoucauld wird mit dem Ausspruch zitiert:

„Auf der höchsten Stufe der Freundschaft offenbaren wir dem Freunde nicht unsere Fehler, sondern die seinen.“

 

Das muss auch auf bilateraler Ebene möglich sein. Alles andere ist fatal.

 

Wollt ihr etwa die totale Solidarität?!?

 


Titelbild von Ole Reißmann (CC BY-NC-SA 2.0)


von fab am 06.Apr.2012 in kultur

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