Goldene Zeiten – auf dem Tweetup im Lenbachhaus

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Hängt gerade so tief, dass man beim Twittern nicht dranstoßen kann: "Wirbelwerk" von Olafur Eliasson

Dieser Artikel beginnt mit einer Gurke. Um genau zu sein, einer Essiggurke. Reinbeißen möchte man allerdings nicht – die Gurke ist aus Acrylgießharz. Sie steht nur drei Schritte vom Übergang zwischen dem alten und dem neuen Teil der Städtischen Galerie im Lenbachhaus entfernt. Und sie steht auf einem Sockel, denn, ja, diese Gurke ist Kunst. Viel schöner finde ich allerdings den durch das Dach des Anbaus hereinbrechenden Buntglastornado von Olafur Eliasson, Titel: „Wirbelwerk“. Aber jetzt erst mal mit ein bisschen mehr Abstand.

 

Bitte nicht beißen: "Ohne Titel (Gurke Nr. 42)" von Erwin Wurm

3. Mai 2013, München. Rund 30 bis an die Zähne mit Smartphones, Tablets und Kameras bewaffnete Menschen folgen dem zukünftigen Museumsdirektor Dr. Matthias Mühling durch das renovierte und erweiterte Lenbachhaus. Er gibt gerade eine exklusive Vorabführung, und zwar für Menschen, die er fast schon liebevoll „Sie mit Ihrem digitalen Fetisch“ nennt. Richtig, wir befinden uns auf einem Tweetup, wie üblich organisiert von den Münchner Kulturkonsorten, und zwar dieses Mal in meinem Lieblingsmuseum.

 

Nicht alles neu: links der Anbau, rechts die alte Künstlervilla des Lenbachhauses

Die Künstlervilla, der ältere Teil des Museums, geht auf den Münchner Malerfürsten Franz von Lenbach zurück. Der aber stammte nicht wie so manch anderer Maler des 19ten Jahrhunderts aus reichem Elternhaus. Stattdessen kam er aus Schrobenhausen, wie der Spargel, und erarbeitete sich seinen gesamten Ruhm und Reichtum durch die Malerei. Wilhelm I., Ludwig I. und Bismarck ließen sich zum Beispiel von ihm porträtieren. Doch trotz der prunkvollen Villa ist es ein volkstümliches Museum, das hier entstanden ist – man muss nicht erst eine überdimensionierte Treppe heraufsteigen, um zur Kunst zur kommen, erklärt Dr. Mühling mit einem Seitenhieb in Richtung der Pinakotheken.

 

Ziel der heutigen Führung ist allerdings der neue Teil des Museums, der Anbau, eine Art goldener, na ja, Kasten. Er schließt sich direkt an die Villa an und lässt ihr doch die Fassade, die man am Verbindungspunkt nun eben von innen in einem „Haus im Haus“-Effekt bewundern kann. Renovierung, An- und Umbau haben 56,2 Mio. Euro gekostet und sind nach Plänen des Architekturbüros Foster + Partners durchgeführt worden, das unter anderem für seine eigene Interpretation einer Gurke in London bekannt ist.

 

Digitales Multitasking mit Tablet und Smartphone

Im ersten Raum, den wir besichtigen, hängen Bilder vom Münchner Künstler Rupprecht Geiger. Eine Twitterin mit Rucksack kommt einem gefährlich nahe – Dr. Mühling erkennt den potenziell fatalen Zusammenhang zwischen auf Bildschirme starrenden Menschen und unverglast aufgehängten Kunstwerken (ziemlich selten in der Museumswelt, übrigens) und ermahnt uns zur Vorsicht.

 

Dann erzählt er von der Utopie der abstrakten Kunst als Weltsprache, die jenseits von Sprach- und Wissensgrenzen kommuniziert. Fleißiges Twittern und Knipsen allerseits, ich kritzele auf meinem Block mit. „Und jetzt gehen Sie bitte weiter, bis Sie Kekse und Streifen sehen.“ Sigmar Polke? Ja, da hängen sie auch schon, seine „Kekse“. Für Dr. Mühling ganz klar Hanutas, die Twittergruppe murmelt und tippt ihre Zustimmung.

 

Ja, wo sind wir denn? "Never again" von Monica Bonvicini und Tom Burr

Die nächste Station ist noch überraschender: Sechs schwarze Lederhängematten sind mit langen Ketten an der Decke befestigt. Dr. Mühling ruft zum Schaukeln auf. Zu seiner Freude springt der jüngste Teilnehmer, zehn Jahre alt und mit Spiegelreflexkamera ausgestattet („Nein, meine Mama macht hier mit – ich bin Fotograf!“) sofort in die erste Hängematte, alles rasselt und klappert. Scham und die von der Installation ausgehende SM-Sexualität sind für das Kind noch keine Themen, so Dr. Mühling. Das gibt Stoff zum Nachdenken – was für ein Verhältnis haben wir zu Kunst? Ist es wirklich sinnvoll, dass man in Museen immer leise sein muss und nichts anfassen darf? „Das ist übrigens keine Regel, die irgendwo geschrieben steht,“ informiert der zukünftige Direktor, und es klingt nach einer Herausforderung.

 

Wir gehen weiter, tippend und kritzelnd und guckend, etwas stockend und unkontrolliert. „Je schneller die Medien, desto langsamer die Besucher,“ sagt Dr. Mühling – der Satz wird sofort mehrfach in den digitalen Raum geschleudert. Erstaunt stellt er fest, dass er anfängt, wichtige Aussagen schon twittergerecht in kurzen, prägnanten Sätzen zu formulieren. Scheint ihm aber auch irgendwie Spaß zu machen.

 

Da sind sie ja wieder! Ausschnitt aus "Vögel" von Franz Marc

Schon sind wir unterwegs zu Franz Marc. Und da sind sie alle wieder: Marcs Pferd – die Mona Lisa des Lenbachhauses –, seine Rehe und Vögel, der Tiger, der Affe, die Kühe. Die Vögel begrüße ich ganz besonders, sie sind eines meiner Lieblingsbilder, und wir haben uns immerhin vier lange Jahre nicht gesehen.

 

Wassily Kandinsky folgt, seine Bilder hängen auf schwarzem Hintergrund: Die Farben knallen wie nie zuvor. Zum Glück bin ich nicht alleine hier, im Farbrausch der Wiedersehensfreude wäre ich sonst sicherlich singend im Kreis herumgesprungen – das hätte Dr. Mühling aber wahrscheinlich gar nicht so sehr gestört. Schwarz also, wie auf der ersten Ausstellung des Blauen Reiters, erklärt er. Das herauszukriegen war allerdings nicht einfach. Die Schwarzweißfotos der ersten Ausstellung behielten ihr Geheimnis, bis man in einer schriftlichen Quelle einen Hinweis fand.

 

Ein Foto machen und ab damit in den digitalen Raum – "Improvisation 19" von Wassily Kandinsky und eine Twitterin

Nur schwer reiße ich mich vom Blauen Reiter los und folge der Gruppe zu Beuys. Beuys, mit dem die Gegenwartskunst ins Lenbachhaus kam. Leider geht uns die Zeit gerade aus und wir huschen nur so durch – ich werde eh bald zurück sein, da macht euch mal keine Sorgen, liebe Kunstwerke. Zu flüchtig war dieser Besuch im Lenbachhaus, aber ab 8. Mai sind seine Türen ja wieder offen. Und wer nicht hingeht, ist selbst schuld.

 


EINTRITT FREI im Lenbachhaus vom 8. – 12. Mai 2013, Öffnungszeiten 10 – 22 Uhr. Danach reguläre Preise und Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag, 10 – 20 Uhr, ab Oktober Winteröffnungszeiten Dienstag bis Sonntag, 10 – 18 Uhr. Haltestelle Königsplatz aussteigen (U2), über die Straße gehen, hinein in den goldenen Kasten und… genießen.


von barbara am 06.Mai.2013 in kultur

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