Wiederentdeckt: „Momo“ und ihr Kampf gegen die Zeitdiebe

0

Eine Blumenkette – darf man sich für so etwas Zeit nehmen? Photo: Schreibstoff

Erinnert ihr euch noch an Momo? Das kleine Mädchen mit den Krausehaaren, das eines Tages am Rande der Stadt auftaucht und in das alte Amphitheater zieht? Letztens habe ich das Buch beim Aufräumen entdeckt und mir die Zeit genommen, es wieder zu lesen – was ist schon Ordnung gegen eine gute Geschichte? Eine Entscheidung ganz im Sinne der klugen Protagonistin, denke ich.

 

Gleich am Anfang des Buches „Momo“, von Michael Ende, werden wir auf eine ganz besondere und doch sehr banal klingende Eigenschaft aufmerksam gemacht, die das unter so unerklärlichen Umständen erschienene Mädchen wie niemand sonst beherrscht: das Zuhören. Ein Ausschnitt:

 

Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, dass den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme.

 

Für mich einige der schönsten Zeilen, die je über diese Kunst und ihre überraschenden Auswirkungen geschrieben worden sind. Damit eng verbunden ist Momos Reichtum an Zeit und Fantasie und ihre Freude daran, diesen mit ihren Freunden zu teilen. So ist sie die natürliche Feindin der „grauen Herren“, die blass und rauchend durch die Stadt ziehen und die Menschen zum Zeitsparen überreden. Sie sind gegen das Träumen, das Flanieren, das Genießen – sie predigen eine disziplinierte Effizienz und verschieben alle Belohnungen in eine Zukunft, die nie eintreten wird. Ganz verhext sind die Menschen von ihrer Logik: So versetzt der graue Agent Nr. XYQ/384/b den Frisör Fusi in Panik, als er ihm bis auf die letzte Sekunde vorrechnet, dass dieser bis jetzt alle Zeit seines bisherigen Lebens schon ver(sch)wendet hat. Fusi unterschreibt den Zeitsparvertrag – er verbringt weniger Zeit mit seinen Kunden, verkauft seinen Wellensittich und steckt seine Mutter in ein Altersheim.

 

Aber je mehr Zeit er und seine Zeitgenossen sparen, desto weniger haben sie davon. Braucht man dazu graue Herren? Natürlich nicht. Bewusst ordnet Michael Ende seine Geschichte im Nachwort einer unbestimmten Zeit zu: Er habe sie von einem mysteriösen Erzähler erzählt bekommen, welcher betont habe:

 

Ich habe Ihnen das alles erzählt, […] als sei es bereits geschehen. Ich hätte es auch so erzählen können, als geschähe es erst in der Zukunft. Für mich ist das kein so großer Unterschied.

 

Für Kinder sind die grauen Herren ein Märchen, Figuren einer schaurigen Geschichte mit einem guten Ende. „Erwachsene“, meiner Einschätzung nach sowohl jetzt, vor zehn Jahren und irgendwann in der Zukunft, blicken zurück und wissen: Sie sind Teil der Zukunft jeden Kindes, sie sind in unserem Jetzt. Unauffällig haben sie sich eingeschlichen, für jeden in einer anderen Gestalt. Immer wieder greifen sie nach uns. Ob sie unsere Zeit bekommen, haben wir selbst in der Hand – jeden Tag aufs Neue.


von barbara am 11.Feb.2013 in kultur

Lass mal was da im Kommentarformular...


Mit dem Abschicken Deines Kommentars
akzeptierst Du die Nutzungsbedingungen