Midan Tahrir revisited: Die ägyptische Revolution am Ende?

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Midan Tahrir: Polizisten bewachen den Platz wo die Zelte der Demonstranten standen.

Die gestohlene Revolution
30.000 Menschen versammelten sich am 9. September am Midan Tahrir, um von der Militärregierung demokratische Reformen einzufordern. Indem die Veranstalter nach Abzug der Polizei den Verkehr regelten und durch Taschenkontrollen für Sicherheit am Platz sorgten, bemühten sie sich um einen friedlichen Protest.
Abends marschierten einige hundert Demonstranten vom Tahrir zur Israelischen Botschaft. Dort demonstrierten sie gemeinsam mit gewaltbereiten Fans des Al-Ahly Fußballclubs gegen die Erschießung ägyptischer Polizisten durch israelische Soldaten. Die folgenden Ausschreitungen gipfelten im Sturm der Botschaft. Berichten zufolge gab es drei Tote und zahlreiche Verletzte.
Dieser aggressive Akt hat die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen. Die Forderungen der Demonstranten vom Midan Tahrir blieben dadurch weitgehend ungehört.

 

Midan Tahrir am 9. September 2011

Militärrat bremst demokratischen Wandel
Die Ereignisse in Ägypten finden, gefiltert durch die Medien, ihren Weg auf unsere Fernsehbildschirme, in Zeitungen und Magazine. Der Fokus der Medien verengt sich zusehends auf Gewalt, Aufstände und Unruhen. Der häufig gezogene Schluss aus der medialen Berichterstattung: Die Revolution sei gescheitert, das Land könne ohne starken Mann an der Spitze nicht zur Ruhe kommen – ein Bild der Revolution, wie es auch der Militärrat bemüht ist zu zeichnen: Bei den Aggressionen gegen die Israelische Botschaft sah das Militär stundenlang tatenlos zu und ließ die Situation eskalieren.
Zwei Tage später kündigte die Militärregierung an, auf Grund der unsicheren Situation im Land, das Ausnahmerecht nicht wie geplant am 30. September auszusetzen. Damit wird eine der Hauptforderungen der Demonstranten ignoriert. Das Ausnahmerecht eröffnet dem Regime gesetzliche Spielräume, die es ermöglichen, kritische Journalisten, Demonstranten und Streikende zu verhaften.

 

Damit stellt die Militärregierung sich (vorerst) gegen einen demokratischen Wandel. Vielleicht, so vermuten Beobachter, ist sie auch mit der Situation überfordert und setzt die falschen Signale.
Eine ähnliche Situation gab es bereits 1952. Nachdem König Faruk I. vom Militär geputscht wurde, errichteten die Generäle einen „revolutionären Kommandorat“. Von einer Übergangsphase war die Rede. Danach, so versprachen die Generäle, würde es freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen geben, Parteien, ein Ende der Korruption und die Abschaffung der Sondergerichte. Die Erfüllung dieser Versprechen blieb das Militär dem Volk bis heute schuldig.

 

Frisst Israelhass die Revolution?
Premier Recep Tayyib Erdogan wurde im September bei seinem Besuch in Kairo bejubelt. Der große Applaus, der dem türkischen Premier entgegenbracht wurde, galt vor allem seiner Haltung Israel gegenüber. Dass er in der Türkei von Journalistenorganisationen mit Vorwürfen über Zensur und Unterdrückung der Medien konfrontiert ist, scheint dabei nicht von Interesse. Um so verwunderlicher für ein Land, dessen Pressefreiheit durch das vom Militärrat aufrecht erhaltene Ausnahmegesetz bedroht ist.
Israelgegner finden sich in Ägypten quer durch alle politischen Lager. Dabei geht es aber nicht allein um Kritik an der Politik Israels. Seltsame Verschwörungstheorien über ein Weltjudentum sind genauso im Umlauf, wie religiös gefärbte, antijüdische Propaganda.

 

Das Regime Mubarak bewahrte den Frieden mit Israel, die USA haben sich mit hohen Zuwendungen revanchiert. Gleichzeitig verbreiteten jedoch staatsnahe Zeitungen, TV-Sender, Verlage und politische wie religiöse Autoritäten ein von der Realität entkoppeltes Bild von den Juden bzw. Israel. Dazu zählt rassistische antijüdische Propaganda wie die Leugnung des Holocaust und die Studien des verstorbenen Sheikhs der al-Azhar Universität, Muhammad al-Tantawi, der den fiktionalen antijüdischen Text „Die Protokolle der Weisen von Zion“ als Quelle zur Geschichte des Judentums herangezogen hat.

 

Scheinbar allzuleicht lassen sich in Ägypten mit antiisraelischen Reden Stimmen gewinnen und Menschen mobilisieren. Es war kein Zufall, dass in den letzten Tagen Mubaraks regimenahes Fernsehen ausländische Journalisten als jüdische Spione „entlarvte“.
Im April wurde der Blogger Maikal Nabil Sanad verhaftet. Er kritisierte nicht nur den Militärrat, sondern sprach sich auf seinem Blog für das Existenzrecht Israels aus. Ein Grund, für die mangelnde Solidarität die ihm in Ägypten auch von Seiten der Militärkritiker und Befürworter eines demokratischen Wandels entgegengebracht wird.

 

Es bleibt zu hoffen, dass sich Anti-Israel-Propaganda nicht zu sehr in den Vordergrund drängt und dadurch von den zahlreichen Problemen, die es in Ägypten zu lösen gilt, ablenkt. Bei Erdogans Angriff auf die Pressefreiheit und Maikal Sanads Verhaftung scheint das bereits geschehen zu sein.

 

Die Revolution wächst
Midan Tahrir. Polizisten haben einen Jugendlichen festgenommen. Der wird in der Mitte des Platzes einem Offizier vorgeführt. Am Kreisverkehr laufen Menschen zusammen. Die Menge wird rasch größer. Die Situation ist angespannt. Nach heftigen Diskussionen zwischen den versammelten Menschen und einem Offizier, wird der Junge freigelassen. Die Polizei hat nachgegeben. Die Menge applaudiert.

 

Diese Episode zeigt, was sich am deutlichsten in Kairo verändert hat: Die Mauer der Autorität, die zwischen Exekutive und Zivilbevölkerung stand, ist porös geworden und teilweise eingestürzt. Die Menschen tun ihre Meinung kund, auch gegenüber Polizei und Militär. Die Öffentlichkeit hat eine Stimme erhalten, und sie ist laut. Menschen gehen auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern: Höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, ein Ende der Korruption, keine Zivilisten mehr vor Militärgerichte, die Liste der Forderungen ist lang.

 

Al-Qaida, die mit Gewalt Emirate errichten wollte, konnte keinen einzigen korrupten arabischen Autokraten stürzen, schreibt Karim El-Gawhary: „Bin Laden starb politisch auf dem Tahrirplatz, bevor er in Pakistan von US Navy Seals tatsächlich erschossen wurde.“ Denn der Umsturz in Ägypten wurde mit friedlichen Demonstrationen und Beharrlichkeit erreicht. Ein guter Start, um Prozesse der Demokratisierung in Gang zu setzen.

 

Eine wichtige Rolle spielen dabei die Gewerkschaften: Vor der Revolution dominierte die Staatsgewerkschaft ETUF (Egyptian Trade Union Federation). Heute gibt es mehr als 200 neue unabhängige Gewerkschaften. Allerdings ist das Gesetz, dass die Gründung unabhängiger Gewerkschaften erlaubt, noch nicht verabschiedet. Solange das nicht geschieht, besteht die Gefahr, dass die Staatsgewerkschaft bei der Wahl der Gewerkschaftsräte im Herbst ihre Macht zurückholt.

 

a place called Midan Tahrir

Die Übergangsphase von einem Regime zu demokratischen Strukturen ist immer mit Unruhen und Instabilität verbunden. Ägyptens Weg in die Zukunft muss noch ausverhandelt werden. Die Parlamentswahlen am 28. November werden entscheidend sein.


von markus am 17.Okt.2011 in politik

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