Die feinen Unterschiede #6 – Französischer Deutschland-Hype

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Foto: Joachim S. Müller (CC BY-NC-SA 2.0)

Dass nach fast 50 Jahren Deutsch-Französischer Freundschaft die Zeiten des „Erbfeindes“ glücklicherweise längst vorbei sind, ist klar. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich die beiden Länder immer mehr angenähert. Städte, Schulen, Familien: Überall gibt es heute deutsch-französische Partner- und Freundschaften. Wenn man daher heute als junger Deutscher in Frankreich lebt, ist von den Feindschaften früherer Tage lange nichts mehr zu merken. Offen vorgetragene Ressentiments sind die absolute Seltenheit. Und wenn eher als Scherz von dann meist betrunkenen Franzosen gemeint. Ansonsten zeichnete sich das Verhältnis bis jetzt eher durch eine Art neutraler Gleichgültigkeit aus. Man kennt sich, man versteht sich. Darüber hinaus löste ‚der Andere’ aber meist keine großen Gefühlsregungen mehr aus. Bis jetzt.

 

Der Deutschland-Hype geht um

 

Denn zumindest von einer Seite aus hat sich der Beziehungsstatus in letzter Zeit von ‚Bekannter’ auf ‚Geliebte’ geändert. In Frankreich geht ein Hype um. Und der heißt Deutschland.

 

Zunächst mal klingt das ziemlich befremdlich. Frankreich steht auf Deutschland?! Das dröge, graue Deutschland?! Sonst war es doch eher mal genau anders herum. Da standen die Deutschen noch auf „la grande nation“. Frankreich, das Land der Freiheit, der Leidenschaft und der Genüsse. Doch auch wenn diese Liebe abgekühlt scheint, da Frankreich heute auch nicht mehr das ist, was es mal war. So verwundert es doch, dass die Beziehungsverhältnisse nach einer langen neutralen Phase jetzt so ins Gegenteil umgeschlagen sind.

 

Vielleicht sollte daher auch eingewendet werden, dass es sich dabei nicht plötzlich um eine heiße Liebe handelt. Vielmehr eine aus großem Respekt gewachsene Bewunderung. Weniger die geheimnisvolle Schönheit, die man umschwärmt, als viel eher der Professor, den man respektiert und bewundert für seine großartigen Leistungen.

 

Womit wir nämlich beim Stichwort wären: Leistungen, Leistung. Dies ist vor allem andern, wofür die Franzosen die Deutschen zurzeit bewundern. So ist die neue Zuneigung daher auch keine ganz freie Entscheidung. Vielmehr ist sie ein Produkt der derzeitigen globalen Krise, durch die Deutschland im Vergleich zu Frankreich viel besser hindurch geht. Denn während Deutschlands Wirtschaft boomt und die Arbeitslosenzahlen zumindest oberflächlich betrachtet hervorragend sind, greift die Krise in Frankreich viel stärker: Die Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosenzahlen steigen.

 

Grund genug für die Franzosen also, den nord-westlichen Nachbarn genauer zu betrachten, sich als Vorbild zu nehmen, ach was, am besten gleich alles zu übernehmen. So zumindest ist der Eindruck, den die Franzosen und vor allem die französischen Medien dieser Tage vermitteln: Sehet und lernt von Deutschland, wie man erfolgreich durch die Krise kommt. Sehet und lernt von Deutschland, wie man ein erfolgreicher moderner Industriestaat wird.

 

Liebe macht blind

 

Das alte Sprichwort, dass Liebe blind macht, scheint auf Frankreich dabei wohl recht gut anwendbar zu sein. Denn das es trotz wirtschaftlich guter Lage auch in Deutschland etliche soziale Missstände gibt, die teilweise sogar erst das Fundament des jetzigen Wirtschaftsbooms bilden (Stichwort: Zeitarbeit), geht in Frankreich ziemlich unter.

 

Stattdessen wird Angela Merkel bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den höchsten Tönen gelobt. Denn viele Franzosen beneiden uns Deutsche für unsere ‚tolle’ Kanzlerin, die doch so progressiv und offen sei und alles Konservative hinter sich gelassen hätte. Aussagen zu denen einem zweierlei einfällt: 1.Die Sicht der Franzosen auf die deutsche Politik ist massiv verzerrt. 2. Wie schlimm muss dann erst Sarkozy sein?!

 

Doch verwundert einen das riesige Lob der meisten Franzosen für Angela Merkel nicht, wenn man sich vor Augen führt, was von der deutschen Politik scheinbar hier in Frankreich nur ankommt. So wird Angela Merkel beispielsweise auch überall als große Anti-Atom-Heldin gefeiert, da sie es doch gewesen sei, die in Deutschland die Atomenergie abgeschafft hätte. – Ja, oder so ähnlich..

 

Neben den genannten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der geschönten Darstellung der Kanzlerin ist es dabei aber auch vor allem der ‚deutsche’ Fleiß und die Effizienz, die den Franzosen imponieren und die nach einhelliger öffentlicher Meinung in Zukunft übernommen werden sollten. Sollten die Franzosen dieses neue Ziel dann aber irgendwann einmal erreichen, würde wohl zwangläufig auch die aktuelle Bewunderung für Deutschland wieder schwinden.

 

Aber bis es soweit ist und die Krise noch andauert, wird wohl auch weiterhin die erste Bemerkung jedes Franzosen, den man trifft, sein: „Du kommst aus Deutschland?! Ein gutes Land! Wie Ihr dort die Krise meistert ist super. Frankreich muss sich endlich mal ein Vorbild an Euch nehmen, so gut und fleißig, wie ihr arbeitet. Aber hier, nein, hier sind die Leute nur faul. Das wird so nie was.“ Es scheint, auch der französische Patriotismus stößt in Krisenzeiten an seine Grenzen.


von chris am 12.Feb.2012 in globus

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