Die Feinen Unterschiede #8 – Kickern

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Foto: Sebastian Nebel (CC BY-NC-SA 2.0)

Es ist Mitternacht an einem Dienstagabend in einer Toulouser Kneipe. Es stehen zunächst nicht viele am Kickertisch, das Spiel ist in Frankreich nicht sehr populär. Wir sind an der Reihe und ich lächle unseren Gegnern freundlich zu. Doch anders als in deutschen Kickerkneipen gibt es selten ein freundliches „Hallo“. Es wird kein schönes Spiel gewünscht, geschweige denn sich mit Namen vorgestellt. Stattdessen schauen uns die Franzosen mit einem Cowboyblick in die Augen, ein kurzes Nicken, dann wird gelauert.

 

Das Spiel geht los und der französische Gegenspieler macht einen ersten Versuch den Ball vom Mittelfeld in den Sturm zu passen. Jedoch fälscht mein Partner den Ball im Mittelfeld erfolgreich ab, sodass er bei unserer Verteidigung landet, was dem Franzosen aber nicht zu gefallen scheint. Er greift mit der Hand in den Tisch, nimmt den Ball und legt ihn sich zurück vor seine Mittelspieler. Nochmal auf Anfang. Warum auch immer. Achso, unser Gegenspieler konnte den nach vorn gespielten Ball nicht mit den Stürmern halten, weil mein Partner ihn mit seinen Mittelspielern umgelenkt hat. Klar, da bekommt man den Ball zurück und es geht von vorne los, denn beim Kickern geht es schließlich nicht darum Tore zu verhindern und selbst welche zu schießen…oder doch?

 

Und der Regelwahnsinn geht weiter…

 

Fünf Minuten später steht es immer noch Null zu Null. Indem ich meinen Torwart eisern in der Mitte stehen lasse kann ich den Sieg unserer französischen Gegner noch ewig hinauszögern. Immer wieder nimmt ihr Angreifer all seine Kraft zusammen und hämmert mit seinem Stürmer erbarmungslos auf den Ball ein. Immer wieder auf meinen Torwart. Denn auch der bleibt erbarmungslos und rückt nicht von seiner Position. Es könnte so einfach sein. Spiel einfach an ihm vorbei, möchte ich dem Franzosen sagen. Aber ich schweige und warte ab.

 

Oft fliegt der Ball dabei auch aus dem Spiel. Doch trotzdem versucht es unser Gegenspieler immer wieder und drischt mit all seine Kraft auf den Ball ein. Und tatsächlich, manchmal funktioniert es und der Ball geht ins Tor.

 

Doch auch mein Partner bekommt den Ball gelegentlich ins Tor. Einmal zählt es, die anderen Male nicht. Ab und zu schiebt die Gegner sich und uns einen halben oder sogar zwei halbe Punkte zu und mein Partner und ich verstehen die Welt nicht mehr. Man hat das Gefühl gegen Kinder zu spielen, die sich ihre eigenen Regeln ausdenken, um auch ja zu gewinnen. Und man lässt es zu. Man legt sich schließlich nicht mit Kleineren an.

 

Unermüdlich geht es weiter. Ständig zuckt die Hand des französischen Angreifers, allezeit bereit ins Spiel einzugreifen, wenn irgend etwas nicht nach Plan läuft. Und dann passiert das Unfassbare. Wieder einmal haut unser Opponent mit seinem Stürmer auf den Ball, als würde er Kickern mit Hau-den-Lukas verwechseln. Der Ball geht ins Tor und springt mit einem lauten Klong wieder heraus. Der Franzose greift wieder mit der Hand ins Spiel, nimmt den Ball und legt ihn in die Mitte. Er bekommt einen Punkt und wir einen Punkt abgezogen. Es steht jetzt 3:(-1). Wie um alles in der Welt konnten wir punktemäßig tiefer sinken, als es die Konstruktion des Spieltisches zulässt?

 

Für die Franzosen wirkt es logisch. Für uns einfach nur willkürlich

 

Das Spiel geht weiter, mittlerweile liegen unsere französischen Gegenspieler weit vorn, dank eines weiteren Minuspunktes, den wir uns einhandeln: Mein Partner hat mit seinem rechten Stürmer ein Tor geschossen. Doch Schüsse dieses Spielers sind verboten, da zu schwer zu verteidigen – sagen die Franzosen. Man müsste ja den Torwart bewegen. Dafür werden wir bestraft.

 

Es wird nun lächerlich und wir wollen, dass es aufhört. Wir können dem Spielverlauf nicht folgen. Die Minuspunkte verzerren das Ergebnis und so wird nicht bis sechs gespielt, sondern bis die Bälle ausgehen.

 

Wir ertragen die Schmach nicht mehr, sind hilflos. Manchmal kommen wir unserem Ziel näher, die Franzosen schieben uns manchmal halbe, manchmal ganze Punkte zu. Doch dann nehmen sie sie uns kommentarlos wieder weg und wir können nichts dagegen tun. Wenn wir dieses Spiel doch nur verstehen könnten…

 

Am Ende gewinnen die Franzosen mit 7:(-1). Was bedeutet das nun? Einen Schnaps für die Sieger? Nein, denn diese einzige sinnvolle Regel des Kneipensports kennen sie glücklicherweise nicht.

 


von gastautor am 09.Jul.2012 in globus

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