Sonnige Nächte #1: Begegnungen in Alta

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Ankunft in Alta um 00:30 Uhr

Je weiter man sich in den Norden Norwegens vorwagt, desto schlechter werden die Verkehrsanbindungen und desto teurer die Unterkünfte. Vor einem Jahr war ich dort oben, über dem Polarkreis und damit zu dieser Jahreszeit im Reich des tagelangen… na ja, Tages. Auf meinem Weg zum Nordkapp, der Spitze Norwegens, wollte ich mir unbedingt noch ein paar Felszeichnungen in Alta ansehen. So lief’s.

 

Ich stehe in der Touristeninformation von Tromsø, wo es keine Jugendherberge gibt, und will nach Alta, wo es auch keine Jugendherberge gibt. Von Alta aus fährt wenigstens ein Bus weiter – von hier nach Alta allerdings die nächsten Tage nicht. Die Frau von der Touristeninformation zuckt mit den Schultern. Warum ich dort überhaupt hin will, fragt sie mich. Felszeichnungen aus der Steinzeit. Hmmm, sagt sie, davon habe sie mal gehört, sowas interessiere sie aber grundsätzlich nicht.

 

Für mein Transportproblem allerdings weiß sie eine Lösung: Die kleine Fluglinie Wideroe düst hier oben von Dorf zu Dorf. „Wie ein fliegender Bus,” erklärt sie mir. Ich lasse ein paar Touristen vor, die nur eine kostenlose Stadtkarte abholen wollen, und überlege. Dann fasse ich einen Entschluss. „Ich hätte gerne einen Flug für heute Nacht”, sage ich zur Tourifrau. „Und zwar so spät wie möglich.”

 

Die Sonne scheint, als mein Flieger um 23 Uhr vom Flughafen in Tromsø startet. Mit mir in der Maschine sitzen 40 andere Menschen – ja, ich habe die Sitze gezählt – und starren gelangweilt auf private Luftschlösser, während ich am Fenster klebe und Tundra, dunkle Wälder und begletscherte Berge bestaune. Ob ihn das denn nicht mehr beeindrucke, frage ich meinen Sitznachbarn. Och nö, sagt der, er fliege diese Strecke einmal pro Woche, da sei er das einfach schon gewohnt. Viel interessantersei es allerdings, wenn man mit Hundeschlitten an den tagelangen Rennen teilnähme, die durch diese Gegend ziehen… Er ist nämlich professioneller Hunderennenfahrer. Was es nicht alles gibt.

 

Als wir in Hammerfest zwischenlanden, zieht ein eiskalter Wind in das Flugzeug herein. Draußen ist alles grau, und es regnet. Das bereitet mir ein wenig Sorgen, denn mein Plan für heute Nacht basiert auf gutem Wetter. Kurz vor zwölf sind wir wieder in der Luft, und mein neuer Nachbar beobachtet mit skandinavischer Kommentarlosigkeit, wie ich mein erstes Mitternachtssonnenphoto unter ständigem Uhrenabgleich um genau 12.00 Uhr knipse.

 

Auf dem Weg nach Alta, und kurz vor der Zwischenlandung im Regen von Hammerfest.

Wo musst du denn hin?

 

Dann endlich, Alta. Halb eins in der Nacht, sonnig mit nur leichtem Wind. Perfekt. Ich mache noch ein Photo vom Flieger und folge den effizient voranschreitenden Skandinaviern ins Flughafengebäude. Die schnappen sich ihre Koffer, springen in Taxis und Autos, und nach zehn Minuten ist kein Mensch mehr zu sehen. Ich schwinge mir den Rucksack auf den Rücken und suche einen Busfahrplan. Es sind drei Kilometer bis zum Dorf, und wenn ich sie nicht laufen muss, dann laufe ich sie auch nicht.

 

„Entschuldigung“, sagt auf einmal jemand. Ein Mädchen in meinem Alter, schwarze Haare, blaue Augen. „Wir schließen jetzt den Flughafen.“ Ich nicke. Dass die Flughäfen hier geschlossen werden, weiß ich ja schon.
„Fährt denn ein Bus?“ frage ich. Sie überlegt.
„Ich weiß nicht. Ich frage mal meinen Kollegen.“ Sie ruft einen Namen.
Ein Typ, auch ungefähr in meinem Alter, kommt um die Ecke.
„Wir sind die Security,“ erklärt das Mädchen, und fragt ihn etwas auf Norwegisch. Er schüttelt den Kopf. „Kein Bus.“
„Wo musst du denn hin?“ fragt mich das Mädchen.
„Alta“, sage ich.
„Ich meine, wo übernachtest du?“
„Äh.“
Beide gucken erwartungsvoll.
„Ich… nirgends.“
„Welches Hotel, meine ich.“
„Keins.“
Beide gucken verwirrt. Aber sie haben mich richtig verstanden. Ich zeige nach draußen.
„Die Sonne scheint.“
Da glauben sie mir endlich. Das Mädchen lacht. „The sun is shining!“ wiederholt sie.
Der Typ sagt, an der zentralen Bushaltestelle gibt es einen Warteraum, in den ich mich setzen kann. Die beide wechseln kurz ein paar Worte, dann meint er: „Ich kann dich mitnehmen. Ich wohne in der Stadt.“ Das Mädchen nickt mir leicht zu – ein Signal nur zwischen uns beiden, der Typ ist schon okay.
„Fantastisch“, sage ich.

 

Lauter Verrückte

 

Er geht, um die Lichter des Flughafens auszuschalten. Sie begleitet mich noch nach draußen. „You’re crazy“, teilt sie mir mit einem leichten Kopfschütteln mit, bevor sie hinter mir die gläserne Drehtür absperrt. Ich frage mich, ob sie nicht ein wenig zu sehr Recht hat, und warte ab. Nicht lange, dann klappert ein rostbraunes Auto auf mich zu. Der Typ heißt übrigens Jørn. Jorn? Nein, Jöörn, öööh. Ah, öh! Alles klar.

 

Wir fahren und ich bin froh, dass ich doch nicht laufen muss. Wir fahren nämlich länger, als ich dachte. Und quatschen. Jørn erzählt, dass er im Juli mit diesem Auto und zwei Kumpels von hier bis nach Berlin und zurück fahren will, und das alles in zwei Wochen. Also ist auch er ein bisschen wahnsinnig. Sehr sympatisch.

 

Wir kommen an der Bushaltestelle an. Ich bedanke mich schonmal, und wir gehen zum Warteraum. Der ist leider abgeschlossen. Er guckt ein bisschen verlegen und sagt dann: „Wenn’s dir nicht unangenehm ist, kannst du auch auf meiner Couch pennen.“ Ich schmeiße meinen Rucksack wieder auf den Rücksitz: Er hat das Vertrauen einer Flughafensecurityfrau und einen bizarren Reiseplan. Ein Axtmörder wird er schon nicht sein.

 

Inzwischen ist es zwei Uhr. Jørn und ich sitzen auf seiner Terrasse und essen meinen Nudelvorrat auf. Er hat zur Tomatensoße Hackfleich beigesteuert – welch ein Luxus! Und er erzählt mir Anekdoten aus seinem Leben als Security: von einem Typen, der sich kleine Päckchen Marihuana um sein Bein gebunden hat, von Drogen in einem Dildo. „Warum bist du eigentlich in Alta?“, fragt er mich. Ich überlege kurz. „Felszeichnungen. Aus der Steinzeit.“ – „Ach, die, ah. Da kann ich dich morgen hinfahren.”

 

Bis ungefähr drei Uhr sitzen wir noch in der Sonne, die ich spektakulär finde, obwohl sie ja nach wie vor dieselbe Sonne ist, dann holt er mir eine Decke und ein Kissen und verschwindet in seinem Zimmer. Ich sinke auf die Couch, die weich ist wie ein übergroßer Wattebausch. “Welch ein Luxus!”, denke ich noch, und schon bin ich eingeschlafen. Die Sonne strahlt leise weiter.

 

Skandinavischer Kaffee

 

Zehn Uhr. Jørn hantiert in der Küche. „Kaffee?“ Ich nicke. Und wenn ein Getränk diesen Namen verdient, dann ist es dieses. Was ich normalerweise darunter verstehe ist eigentlich kaum mehr als angefärbte Milch.

 

Nach einer kurzen Dusche geht es ab ins Einkaufszentrum, wo wir uns mit einer Freundin von Jørn zum Frühstück treffen. Elisabeth ist eine kleine, quirlige Norwegerin mit einem gesunden Sparkonto und der Aussicht auf zwei Monate Urlaub in Europa. Mir rauscht nun schon der zweite skandinavische Kaffee durch die Adern, und so fange ich an zu erzählen. Begeistert. Und zwar von Berlin. Und München. Dann von Weimar. Von Paris, von Strasbourg, von Prag, von Wien, und Elisabeth lauscht gebannt. Gleichzeitig esse ich, und schwärme von meinen bisherigen skandinavischen Abenteuern, und zeige ihnen die Fotos aus dem Flugzeug… Ich glaube, ich brauche erstmal ein Wasser. Als ich das Wasserglas wieder absetze – leer – fragt mich Elisabeth, was ich eigentlich in Alta will. Felszeichnungen. Es wird Zeit.

 

Felszeichnungen in der Nähe von Alta

Zurück in die Steinzeit

 

Jørn und Elisabeth setzen mich am Eingang des Museums ab, das Zugleich Portal zum Zeichnungsgelände ist. Wir haben Kontaktdaten ausgetauscht für den Fall, dass es Jørn tatsächlich mit seiner Klapperkiste nach Berlin schafft und irgendwelche Tipps braucht. Ich bedanke mich noch mal bei ihm und wünsche den beiden viel Spaß auf ihren Reisen, dann gebe ich meinen Rucksack an der Empfangstheke ab und laufe auf einem Bretterweg in die Steinzeit.

 

 

Und staune. Rot ausgemalt sind sie, die Zeichnungen, und während die Farbe noch ziemlich frisch ist, sind die in den Stein gehauenen Bilder selbst, je nach Bild, 2000-6000 Jahre alt. Man erkennt Elche, Rentiere, Bären, Füchse, Hasen, Enten, Schwäne, Wale, Umzäunungen, Menschen auf Skiern, Menschen mit Speeren, Menschen in Booten. Manche der Zeichungen, wie zum Beispiel ein großes, mit Menschen gefülltes Boot, stehen auf dem Kopf. Sind das Tote in der Unterwelt, Götter in einer Paralellwelt? Wir werden es nie wissen.

 

Auf dem Weg zurück zur zentralen Bushaltestelle gibt es dann noch ein kleines Drama: Der Shuttlebus ist spät dran, und meine Busverbindung nach Hammerfest die einzige in den nächsten drei Tagen. Eine englische Reisegruppe, selbst mit einem Kreuzfahrtschiff unterwegs, zittert mit mir mit – eine von den älteren Damen hat mich angesprochen, und so wissen alle Bescheid, inklusive dem Fahrer. Als das Shuttle mit quietschenden Reifen vor dem Warteraum hält und ich aus dem einen in den anderen Bus stürze, jubeln mir die Engländer zu, und als der Reisebus mitsamt mir und meinem Rucksack auf die Hauptstraße biegt, winken sie alle. Ich grinse und winke auch. Was mich wohl am Ende dieser Fahrt erwartet? Der Bus rumpelt am letzten Haus vorbei und die Sonne scheint immer noch.

 


von barbara am 18.Jul.2012 in globus

2 Kommentare


  1. Sophie sagte am 18. Juli 2012 um 22:54

    Geil geil geil, Barbie!! Das ist ein wahnsinnig toll geschriebener Bericht deiner Felsmalereiensuche!
    Schreibst du noch mehr von deinen Reisen?
    Knutscha, Sophie

  2. barbara sagte am 20. Juli 2012 um 11:39

    Hey, danke, freut mich! Ja, der nächste Teil der Reise kommt in ein paar Tagen:-)

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