Auf in die PLATFORM – eine Invasioni Digitali

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Der Ausstellungsraum der PLATFORM, derzeit bespielt von der What Remains Gallery und Calum Greaney.

 

WO WILL ICH HIN? KUNST ODER EITELKEIT? SCHRÄNKT FREIHEIT EIN?

 

Das sind nur drei der vielen, vielen Fragen, die die Mitarbeiter der PLATFORM zwischen zwei leuchtend gelbe Seiten getackert haben und nun an Besucher verteilen. Fragen sei der erste Schritt, heißt es, besonders bei dem Vorhaben, „Aufgaben für die Kultur unserer Stadt zu übernehmen“. Neben Büroräumen zur Realisierung von Kulturprojekten bietet die PLATFORM auch 24 Ateliers, in denen zurzeit 40 Künstler arbeiten, und einen großen Ausstellungsraum. In diesem Ausstellungsraum stehe ich gerade, mit ca. 30 anderen, auf meiner ersten Invasioni Digitali.

 

Invasioni Digitali – was ist denn das nun wieder? Kurz gesagt: eine Museumsaktion für digital vernetzte Kulturfans. Sie wurde 2013 in Italien gestartet, um gegen die Schließung kultureller Einrichtungen zu demonstrieren. Dabei werden solche Einrichtungen besucht und via Instagram, Twitter, Facebook & Co. besprochen. Im Gegensatz zu einem Tweetup, das in erster Linie über Twitter läuft, wird hier zu einer möglichst großen Vielfalt an Kanälen aufgerufen. Dass die Kulturkonsorten eine solche Aktion unterstützen, dürfte wohl kaum überraschen – sie waren dieses Jahr sogar die offiziellen deutschen Botschafter der Invasioni.

 

Nicht nur auf Twitter unterwegs – die Organisatorin Vivi D'Angelo von den Kulturkonsorten.

Aus Archiv wird Ausstellung

 

Da sind wir also, mit Video-, Spiegelreflex- und Digitalkameras, Smartphones und Tablets ausgestattet. Die Volontärin Erinn Carstens begrüßt uns und stellt auch gleich drei Künstler vor: die Cousins Christian und René Landspersky, die zusammen die What Remains Gallery bilden, und den britischen Gastkünstler Calum Greaney. Wir stehen mitten in ihrem aktuellen Projekt: Durch den Ausstellungsraum winden sich selbst zusammengezimmerte Regale, auf denen allerlei, na ja, Kram verteilt ist. Die Regale bestehen aus Material aus der Villa Stuck, das nach Ende einer Ausstellung nicht mehr benötigt wurde. Der Kram besteht auch aus solchen Relikten – die Landsperskys sammeln Materialien, die in oder nach der Produktion von Kunst und deren Präsentation anfallen, rumliegen, nicht mehr gebraucht werden. Teilweise verwenden sie diese für neue Kunst, teilweise stellen sie sie so aus, wie sie sind, hier wie in einem Archiv. Das Tolle daran sei, sagt René Landspersky, dass jedes Stück seine eigene Geschichte habe und nun in einem neuen Zusammenhang wieder ganz anders interpretiert werden könne. Dem trägt auch die offene Struktur der Installation Rechnung: Von jedem Punkt im Raum hat man eine andere Perspektive auf die Dinge, die hier auf- und ausgestellt sind.

 

Zeit für eine Raumerkundung

 

Nun werden wir in zwei Gruppen aufgeteilt, die jeweils unterschiedliche Künstler kennenlernen werden. Twitternd, fotografierend, filmend und kritzelnd folgt meine Gruppe Carstens zuerst ins Atelier von Julien Viala. Bei ihm geht es besonders um Architektur, um Räume. Er zeigt uns das Modell eines Projekts, das er in Freiburg realisiert hat: Ein an die Bauhaus-Architektur angelehnter Ausstellungsraum sollte bespielt werden. Er entschied sich dafür, den Raum selbst auszustellen, und montierte einige Stangen und geometrische Formen. Das größte Lob für ihn war, als eine chinesische Kunststudentin eintrat und etwas verwirrt fragte: „Wo ist denn hier die Kunst?“ Ich muss zugeben, diese Frage hätte auch von mir stammen können. Liege ich damit nun richtig oder falsch? Ich bin mir nicht sicher.

 

Modell einer Installation von Julien Viala.

Aus Worten werden Animationen

 

Weiter geht’s ins Gastatelier, in dem gerade Anna Blumenkranz vom Londoner Künstlerkollektiv Beddow ‘n’ Battini an ihrem Laptop sitzt. Das Projekt, das sie zusammen mit 24 anderen Künstlern realisiert, ist die 100 Word Pilgrimage. Dabei werden Künstler an ausgewählte Orte in einer Stadt geschickt, die sie in 100 Worten beschreiben. Diese 100 Worte werden weitergegeben an einen Maler, der dazu ein Bild malt und dieses wiederum einem Trickfilmzeichner gibt, der dazu eine Animation gestaltet. Und wenn’s fertig ist? Dann kann der Besucher mit seinem Smartphone auf ein Bild zeigen, mittels QR-Code-ähnlicher App wird dieses erkannt und – schwupp – die Animation dazu abgespielt. Auf der Tonspur laufen dabei die 100 Worte. Ui! Das klingt spannend. Ich notiere mir: Die Ausstellung läuft vom 9. bis 12. Mai.

 

Wort, Bild, Animation – Anna Blumenkranz demonstriert ein Werk aus der 100 Word Pilgrimage.

Schiffscontainer ganz anders

 

Als Nächstes besucht meine Gruppe das Atelier von Monika Humm, das sie sich mit zwei Fotografen teilt. Die Künstlerin beschäftigt sich mit urbanen Landschaften und zeigt uns einige Werke aus ihrer Global Serie: Fotos von Schiffscontainern, mit breiten, farbigen Strichen zu dreidimensional-anmutenden Bildern verstrickt. Ihre Tiefe erhalten die Bilder durch die Verwendung der verschiedenen Materialien; der Lack, den Humm ganz am Schluss aufträgt, erhöht den Effekt. Woher sie weiß, dass ihr Bild fertig ist? Nach einem Tag Arbeit am Detail macht sie mit ihrem Smartphone ein Foto davon, erzählt die Künstlerin, und sieht es sich daheim noch mal aus der Ferne an. Manchmal lässt sie das Bild auch ein oder zwei Wochen „ruhen“ und geht dann mit frisch gewonnenem Abstand ans Werk. Ihre Technik funktioniert, würde ich sagen. Und die Containern sind nicht nur aufgrund ihrer Struktur und Farbe so interessant, sondern wegen der Geschichten von Reisen, von Heimweh und Fernweh, die sie in sich verstecken. Soll heißen: Ich hätte hier noch um einiges länger stehen bleiben können.

 

Strahlend bunt und mit Geschichten beladen – Ausschnitt aus einem Werk von Monika Humm.

Kronleuchter im Dunkeln

 

Als wir das nächste Atelier betreten, sind alle Bilder zur Wand gedreht. Damit wir nicht mit unseren digitalen Apparaturen über alles gleichzeitig herfallen und dadurch alles gleichzeitig verpassen, so zumindest meine Interpretation der Erklärung. Nikolai Vogel, der sich das Atelier mit Silke Markefka teilt, zieht sich ein buntes Hemd und eine Sonnenbrille an, öffnet seinen langen Zopf und schaltet das Licht aus. Die Bildschirme der Smartphones glühen im Dunkeln. Eine Taschenlampe geht an, Vogel beginnt seine Performance. Titel: Data Explosion, Version Alpha 1.1.1. Ein Schwall von Worten hagelt auf uns nieder, laut und atemlos, die volle Wucht der Informationsüberflutung – ein kurzer Ausschnitt davon ist in diesem Video von Vivi D’Angelo zu sehen. Als das Licht wieder angeht, ist die Künstlerin Markefka dran: Sie dreht das erste große Bild um. Es stammt aus ihrer Lüster Serie. Das Weiß der gemalten Lichter leuchtet sanft, es hat etwas spinnwebenhaftes, gespenstisches, verwischte Linien, Erinnerungen, ein letztes Aufleuchten vergangener Tage. Ob ich gerade Gänsehaut habe? Ein bisschen.

 

Schaurig. Schön. Ausschnitt aus einem Werk von Silke Markefka.

 

Ein Spiel mit Ekel und Scham

 

Ein letztes Atelier sehen wir uns noch an: Frank Maier, der eine Weile lang auch unter dem Künstlernamen Pippi Frank gearbeitet hat, präsentiert uns aktuelle Werke. Er arbeitet gern mit verschiedenen Medien, versucht sich an Neuinterpretationen – am Eingang steht z. B. seine Version von Rodins Camille-Claudel-Büste, aus lila Kunststoff und mit grünlichen Kristallen bewachsen. Die Kristalle sind entstanden aus einer Salzlösung, die der Künstler mit Urin vermischt hat. Richtig, Urin. Ekel, Scham, Abstoßung, der Körper und was dieser produziert, das alles fasziniert ihn. Auch auf anderen Werken wuchern die grünlichen Kristalle die, man muss es zugeben, ohne das Wissen um ihre Entstehung eigentlich ziemlich hübsch sind. Trotzdem kann ich mich nicht wirklich dafür begeistern. Der Punkt, an dem ich den Raum am liebsten kopfschüttelnd verlassen würde, kommt aber erst noch: Auf dickes Papier sind Worte geklebt – aus Schamhaaren. Des Künstlers erwünschte Reaktion bleibt bei mir nicht aus.

 

Ja, das ist, wonach es aussieht... Ausschnitt aus einem Werk von Frank Maier.

Und wie weiter?

 

Eine Ausstellung, fünf Ateliers, meine Gehirnzellen sind völlig verheddert und ich werde die nächsten Tage damit beschäftigt sein, sie wieder zu entwirren. Fazit: Sie haben Ihr Ziel erreicht! Jetzt noch schnell für ein Gruppenfoto posieren, und damit ist der offizielle Teil der Invasioni Digitali vorbei. Schön war’s. Und ich habe tatsächlich ziemlich lange gebraucht, danach meine Gedanken zu sortieren: Die Aktionswoche ist inzwischen zu Ende und die Kulturkonsorten blicken auf einige sehr erfolgreiche Veranstaltungen zurück. Wie die Invasioni wohl nächstes Jahr aussehen wird? Man darf gespannt sein.

 


Öffnungszeiten der PLATFORM: Mo. – Fr., 10 – 19 Uhr. Besichtigung von Ateliers nach Absprache mit den Künstlern. Adresse: Kistlerhofstr. 70, 81379 München. Programm und weitere Infos unter www.platform-muenchen.de.


von barbara am 08.Mai.2014 in kultur

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