Alles auf Anfang
Die Zeit der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW ist vorbei. Verantwortlich dafür ist ein Parteiübergreifender Irrtum: Anders als bisher von den Parteien angenommen, bedeutete die Ablehnung eines Einzelplans des Landeshaushalts in der zweiten Lesung laut Landtagsverwaltung auch dessen generelle Ablehnung. Eine wohl vorgesehene, spätere Zustimmung durch die Linken oder die FDP ist damit nun nicht mehr möglich. Da andere Regierungsbildungen ausgeschlossen sind, kommt es nun zu Neuwahlen. Ein Verlauf, mit dem wohl niemand gerechnet hätte und der den Landtag gewaltig umwirbeln könnte.
Auch wenn Hannelore Kraft ihre Regierung heute auflösen musste, so war doch von Trauer oder gar Angst vor den anstehenden Neuwahlen nichts zu spüren: Im Gegenteil. SPD und Grünen hätte wahrscheinlich kaum etwas Besseres passieren können. Denn anders als im derzeitigen Landtag haben sie in den aktuellen Umfragen eine deutliche Mehrheit. So liegen zwar SPD und CDU nach einer heute veröffentlichten Umfrage von YouGov im Auftrag von Sat.1 und dem Kölner Stadtanzeiger gleichauf bei 33%. Gemeinsam mit den 17% der Grünen, wäre es Rot-Grün also ohne Probleme möglich, eine Regierung zu bilden, die nicht mehr auf die Stimmen der Opposition angewiesen ist.
Auf der einen Seite scheitert so eine interessante und in Westdeutschland bisher einzigartige Form der Regierung, die je nach Sachlage und Position mit der Zustimmung unterschiedlicher Fraktionen regiert. Auf der anderen Seite bekäme Rot-Grün aber die Möglichkeit, ihre Politik ohne größere Zugeständnisse umsetzen zu können. Ob das immer zwingend gut sein muss, sei einmal dahingestellt.
Mächtig “verzockt”
Neben der Stärke der Grünen liegt ein weiterer Grund dafür, dass Rot-Grün wohl über eine ordentliche Mehrheit verfügen wird darin, dass die Aussichten für FDP und Linke erneut in den Landtag einzuziehen zurzeit eher mittelmäßig bis schlecht stehen. Während die Linke dabei noch an der Fünf-Prozent-Hürde kratzt, sieht es für die FDP mit einer Prognose von derzeit 2% doch schon sehr schlecht aus. Das Neuwahlen vor diesem Hintergrund also absolut nicht in deren Sinne sein können, liegt auf der Hand. Das es dazu aus Sicht der FDP wegen eines ‘kleinen’ Fehlers aufgrund der Unwissenheit über die Landtagsordnung kam, mag sehr ärgerlich sein. Nüchtern betrachtet kann man aber mit den Worten der grünen Vizeministerpräsidenten Silvia Löhrmann sprechen und sagen, dass sich die Opposition, besonders die FDP mit ihrer Taktiererei wohl „verzockt“ hat.
Und auch wenn dies fast schon unmöglich erscheint, würde sich die FDP damit wohl abermals selbst der vollkommenen Bedeutungslosigkeit ein Stück näher bringen. NRW wäre damit nämlich nach Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin das fünfte Bundesland in Folge, indem die FDP aus dem Landtag fliegen würde. Und mit dem Saarland und Schleswig-Holstein würden wohl noch dieses Jahr Nummer sechs und sieben folgen. Ein in der Bundesrepublik bisher beispielloser Abstieg. Doch bei der derzeitigen Verfassung der FDP würde diesen wohl kaum jemand als besonders schmerzlich empfinden.
Weitere Chance für die Piraten
Anders die Piratenpartei. Diese hat bei der Landtagswahl eine gute Chance, in einen weiteren Landtag einzuziehen und so weiter an bundesweiter, politischer Bedeutung zu gewinnen. Denn trotz der in einigen Ländern und im Bund guten Umfragewerte wäre es wichtig, sich durch einen nach Berlin zweiten Parlamentseinzug weiter nachhaltig politisch zu etablieren.
Interessant ist dabei auch, dass wohl gerade FDP und Linkspartei aus dem Landtag fliegen werden. Zwei Parteien, deren (ehemalige) Stärken die Piratenpartei als eher linksliberale Kraft im Generellen kombinieren und ersetzen könnte. Denn, dass außer auf dem Markt von Liberalismus bei der FDP nichts mehr übrig geblieben ist, gilt als allgemein anerkannt. Aber auch eine soziale, linke Politik, wie sie die Linke meist vertritt, wirkt oft nur noch altbacken.
Bei den Piraten hingegen gibt es einen großen parteiinternen Flügel, für den Liberalismus im Sinne einer freien Gesellschaft ganz oben auf der Agenda steht. Genauso wie ein großer Teil der Partei bestrebt ist, moderne, soziale Politik zu betreiben, die nicht in der Arbeitsgesellschaft des 20. Jahrhunderts stecken geblieben ist: Auf Landesebene wollen die Piraten Fokus nach Aussage des NRW-Landesvorsitzenden Michele Marsching besonders auf der Bildungspolitik legen. Mit Ziel auf ein längeres gemeinsames Lernen und gleichzeitig umfassenderer individueller Förderung.
So oder so kann man schon jetzt davon ausgehen, dass die kommende Landtagswahl in NRW politisch einiges umwirbeln wird. SPD und Grüne könnten triumphieren und so ein wichtiges Signal für die Bundestagswahl 2013 senden. Was bei der wahrscheinlichen Niederlage aus der FDP wird, kann niemand sagen und birgt einige Unsicherheit – auch für Angela Merkel. Und zuletzt könnten die Piraten eine weitere Chance bekommen, sich politisch zu etablieren und die Tür zum Fünf-Parteien-System ohne Gelb, dafür mit Orange, weiter aufzustoßen. Man darf also gespannt sein.