Du bist was du isst: bio-selbstgefällig

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Läuft mit 50% Selbstgefälligkeit: Die Hybrid-Arche. Foto: Toyota UK (CC BY-NC-ND 2.0)

Ihre Blicke verfolgen jeden Schritt und vor allem jeden Griff. Ein leichtes Kopfschütteln begleitet meine falschen Entscheidungen. Wir kennen uns nicht, aber in ihrem Ansehen bin ich gesunken. Noch selbstbewusster und selbstgefälliger greifen sie nun zum richtigen Produkt. Das mit dem grünen Sechskantsiegel. Die Bio-Spaghetti! Der Weg vom Pasta-Regal zur Kasse wird zum Spießrutenlauf. Um mich herum nur abwertende Blicke. Ich bin versucht mein Abendessen in spe liegen zu lassen und die Flucht zu ergreifen. Ich bleibe standhaft, schaffe es bis zu Kasse. Auch die Kassiererin schaut feindselig. Erst kurz vor dem Plastiktrenner entspannen sich ihre Gesichtszüge. Mehr zufällig als intentional trägt die Flasche Rotwein das Siegel, das mich vor der totalen Isolation rettet. In ihrem „schönen Feierabend“ scheint die Hoffnung mitzuschwingen, dass bei mir noch nicht Hopfen und Bio-Malz verloren sind.

 
Wie über Nacht hat sich Deutschland in eine Nation der Bio-Fanatiker verwandelt.

 

Wie kommt es zu dieser Veränderung im Kaufverhalten? Haben so viele Menschen auf einmal ihr Gewissen und ihre Verantwortung für unseren Planeten entdeckt? Hat das kollektive Erwachen begonnen, das endlich mit den Allmacht-Phantasien und dem tief verwurzelten Gedanken, die Krone der Schöpfung zu sein, aufräumt? Ist das Konzept „Nachhaltigkeit“ im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen? Aus meiner – zugegeben noch kurzen – Lebenserfahrung bezweifele ich diese Hintergründe.

 

Aber was ist es dann, was die Menschen bewegt nur noch Produkte zu kaufen, deren Verpackungen in Erdfarben gehalten sind? Es scheint das Image zu sein, das Bio-Produkte umgibt. In unserer globalisierten und immer komplexer werdenden Welt, in der man täglich mit neuen Hiobsbotschaften überschüttet wird, sehnen sich die Menschen danach, das „Richtige“ zu tun. Sie suchen nach einem bequemen Weg, sich selber aus der Schuld zu nehmen. Die neue Bio-Oberschicht fährt im Toyota Prius – ihrer Hybrid-Arche – zum Discounter und glaubt, ihren Teil zur Rettung der Welt beigetragen zu haben. Frei nach dem Motto: „Die Welt geht vielleicht vor die Hunde, ich aber habe nachhaltig eingekauft“. Was jedoch von Nachhaltigkeit und moralischen Erhabenheit der frühen Öko-Bewegung geblieben ist, ist fragwürdig. Die Menschen verändern ihre Konsumgewohnheiten nicht grundlegend. Sie konsumieren wie früher, jetzt jedoch Bio-Lebensmitteln. Was Bio aber wertvoll machte, ist in Massenproduktion kaum noch zu gewährleisten. Stand bei den klassischen Bio-Konsumenten der Gedanke der Regionalität und des natürlichen Anbaus ganz vorne, scheinen diese Punkte heute kaum noch Beachtung zu finden. Hinzu kommt, dass die Standards, die Nahrungsmittel erfüllen müssen um „Bio“ zu sein, stark variieren. So dürfen Lebensmittel in der EU, die sonst sogar die Krümmung von Gurken reglementiert, sogar gentechnisch verändert sein und erhalten trotzdem das europäische Bio-Siegel.

 

Die Kunden differenzieren nicht. Ihnen reicht ein Logo, welches ist egal. Die Preise dürfen nicht wesentlich höher sein, als die von konventionellen Lebensmitteln. Denn wenn es ums eigenen Geld geht, hört der Drang, die Welt zu retten, bei den meisten Menschen auf. Auch die Rolle der Medien ist entscheidend. Hier ist Nachhaltigkeit ein Trendthema, das an allen Ecken und Kanten bedient und verbalisiert wird. Aus der Gewissheit Bio zu konsumieren, resultiert also eine Selbstgefälligkeit, die massenwirksam ist. Die Klasse der demonstrativ Ökologischen finden Nachahmer, die Bio-Bewegung wird zum Selbstläufer. Wie jede Gruppe, grenzt sich auch die neue Bio-Masse von Anderen ab. Um ihren „besseren“ Konsum zu begründen, werden die Ideale der – längst beerdigten – Ökopioniere ausgegraben und gebetsmühlenartig und unreflektiert rezipiert.

 

Bio wird als Allheilmittel stilisiert und passt perfekt in einen Lebensstil aus Latte Macchiato und 3-Rad-Kinderwagen. Was von diesem Weg abweicht, wird abgelehnt.

 

Wenn man das gesamte Konzept und die Entwicklung der letzten Jahre jedoch kritisch hinterfragt, stellt man fest, dass Bio-Lebensmittel alleine nicht die Lösung sein können! Die Menschheit muss ihren gesamten Konsum, Verbrauch und Bedarf überdenken.

 

Nachhaltigkeit muss gelebt und nicht präsentiert werden. Das gilt nicht nur, aber auch für den Lebensmittelsektor. Unsere konventionellen Lebensmittel sollten so gesund und natürlich sein, dass die Bio-Alternative obsolet ist! Hier ist die Gefahr des Bio-Booms zu sehen: Die Konsumenten hören auf, sich die richtigen Fragen zu stellen. Hören auf ihren eigenen Konsum zu hinterfragen, weil suggeriert wird, etwas gutes zu tun, wenn man Bio kauft. Im tiefsten Winter Erdbeeren zu essen ist jedoch wenig nachhaltig… egal ob diese ein Bio-Siegel tragen oder konventionell produziert wurden!


von gastautor am 26.Dez.2011 in leben

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