In zwei Wochen durch den Iran #4: Picknick, Relativierungen und Gedanken
Salim Salam,
heute ist Freitag, hier also quasi Sonntag, es ist – Überraschung, Überraschung! – immer noch brütend heiß, eine gute Zeit also, in ein gekühltes Coffenet zu gehen und sich die Gedanken von der Brust zu schreiben.
1. Picknick
Wie im letzten Artikel erwähnt, waren wir Abends noch am großen Imam Square in Isfahan picknicken. Das darf man sich ungefähr so vorstellen: Der Platz ist umgeben vom alten Bazar und hat einen Durchmesser von ca. 150 mal 300 Metern und man hat besten Blick auf die alten Moscheen von Isfahan. Abends treffen dort täglich hunderte von Familien und Freundesgruppen ein, um eben ganz einfach und entspannt zu picknicken. Die Atmosphäre ist super, alles sehr locker. Wir hatten Brot, Käse und Datteln und kamen uns doch etwas schlecht vorbereitet vor, als wir sahen, wie all die Familien teils kiloweise Essen herangekarrt hatten. Anschließend haben wir es doch noch geschafft, eines der traditionellen Teehäuser Isfahans zu finden – leider hat die Stadt die meisten davon schließen lassen.
2. Relativierungen
Wie schon einmal angemerkt, stelle ich fest, dass ich doch sehr viele Superlative benutze und recht euphorisch schreibe. Zu Recht, wie ich denke. Allerdings will ich einfach nochmal sagen, dass sich insbesondere Reiseempfehlungen bis dato vor allem auf die ausgetretenen Touristenpfade beschränken. Auch wie es für alleinreisende Frauen ist, kann ich natürlich nicht wissen, würde aber mal tendenziell sagen, dass es dann etwas weniger entspannt ist – aber immer noch viel entspannter als in Ägypten.
Vielleicht noch ein paar Worte zur Polizei hier. Die Präsenz der Polizei ist okay, insbesondere dringend gebrauchte Verkehrspolizisten finden sich an jeder zweiten Ecke, und die schreiben auch fleißig auf – Gurte sind Pflicht und obwohl es chaotisch ist, hat es eben mit cairo-style-driving zum Glück nicht so viel zu tun. Naja, wie gesagt, das wirkt ganz gut. Einzig gestern haben wir erstmals (so vermuten wir) Angehörige der gefürchteten Motorrad-Milizen hier gesehen. Nur zwei Mann, aber mit Helm und gut bewaffnet auf dem Motorrad. Wenn man die Bilder von 2009im Kopf hat, läuft es einem da schon kurz kalt den Rücken runter.
3. Gedanken
Über den Iran und unseren (den westlichen) Umgang kann man natürlich Bücher schreiben und ich kann einfach nicht alles, was ich mir denke, hier aufschreiben. Dass es da irgendwie einen Konflikt gibt, ist aber ja allen klar, denke ich. Ich habe mir gestern mal überlegt, wie ich den Westen aus den Augen eines Iraners wahrnehmen würde – als ganz schön böse denke ich, zumindest seine Politiker.
- 1953 Unterstützung des Umsturzes der gewählten Regierung Mossadeq durch Amis und Briten – 1953 bis 1979 Unterstützung des Shahs durch den Westen. Der Shah galt als einer der brutalsten und gefürchtetsten Diktatoren des Mittleren Ostens
- 1980 bis 1988 Unterstützung des Iraks (Aggressor) im Iran-Krieg durch den Westen, Resultat: ca. 500.000 Tote (um zu verstehen, wie präsent diese Erinnerungen noch sind, sollte man sich auch mal deutlich machen, dass die Väter meiner Generation in diesem Krieg gekämpft hätten und ich womöglich einen Teil meiner ersten Lebensjahre in einem Luftschutzbunker verbracht hätte)
- seit 1980 Embargos und Sanktionen – seit 1980 inoffizielle und unregelmäßige Unterstützung von Gruppen wie den Volksmujahedin, verantwortlich für Anschläge im Iran und auf iranische Botschaften
- 2001 verurteilte der Reformer Khatami die Anschläge in den USA. Reaktion darauf war, dass der Iran auf die Achse des Bösen gesetzt wurde, wodurch den Reformern aller Wind aus den Segeln genommen wurde (dass der Iran, zumindest meines Wissens nach, rein gar nichts damit zu tun hatte, war nebensächlich). Daraufhin andauernde Aufforderungen bezüglich Regime Change und Angriffsrhetorik (z.B. Neuinterpretation von “Barbara Ann” zu “Bomb bomb Iran”) und Einkreisung mit Militärbasen
Ich kann’s nicht oft genug sagen, ich will den Iran (besser seine Politik) ja nicht als Vorzeigestaat preisen, ganz im Gegenteil, aber unser Umgang mit diesem Land ist so was von aggressiv und abweisend, während andere Staaten (z.B. Saudi-Arabien oder Pakistan), die die Menschenrechte ebenfalls mit Füßen treten, unüberwachte Nuklearprogramme haben, und zum Beispiel 2001 sehr viel mehr mit den Anschlägen in den USA zu tun hatten, weiterhin verhätschelt werden.
Klar, diese Politik, so könnte man argumentieren, zeigt auch Erfolge. Die Menschen hier sind genervt von Inflation (Embargos) und wenden sich von der Regierung ab – aber waren sie ihr denn je so wirklich zugetan? Und könnte man es sich nicht aus unserer Position der Stärke (man sollte sich doch bewusst sein, wie unglaublich überlegen wir in jeder Hinsicht sind, finanziell, wirtschaftlich, militärisch, etc.) leisten, eigenes Fehlverhalten und unsere manchmal extreme Doppelmoral einzugestehen und unsere Politik hier offener und ehrlicher zu gestalten? Ich denke schon.
Eines ging mir beim Picknicken dann auch noch durch den Kopf: Ein Angriff auf dieses Land und seine Bevölkerung wäre schlicht und ergreifend eine Katastrophe. Er wäre ungerecht und würde wahrlich die Falschen – nämlich vor allem die einfachen Menschen hier – treffen. Da überkommt einen schon manchmal Abscheu vor der Kriegstreiberei gewisser Parteien.
Das war es mal wieder mit Eindrücken aus dem Iran, geschildert von unserem Gastautoren Matthias. Nächste Woche Montag gibt es dann den letzten spannenden Bericht in unserer fünfteiligen Iran-Serie.