Vom Zeichnen und Zerstören – ein ungewöhnliches Tweetup mit David Shrigley

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David Shrigleys Hand signalisiert: Stop! Ab hier keine Fotos mehr.

 

5. April 2014. David Shrigley steht etwas abseits und guckt ins Leere. Er hat Turnschuhe an, hält eine grellgelbe Plastiktüte in der Hand und wirkt fast so, als wäre er zufällig in die Pinakothek der Moderne hineinspaziert, auf der Suche nach einer Abkürzung vielleicht, auf dem Weg vom Einkaufen oder zur Post. Erst bin ich mir nicht mal sicher, ob er es wirklich ist. Dann wird er offiziell vorgestellt – Kurator Dr. Schwenk heißt uns zum Tweetup Willkommen. Als der Künstler selbst anfängt zu sprechen, gehen wir alle zwei Schritte nach vorn, so leise ist seine Stimme. Trotzdem aber nicht unsicher, im Gegenteil, er spricht sehr ernst und mit einer Eindringlichkeit, die seine Botschaft deutlich an den Twitterer bringt: „Keine Fotos im Secret Room. Jetzt könnt ihr gern noch Fotos machen, von mir, von diesem Gebäude, was auch immer, aber später: keine.“ – „Sonst bringt er euch alle um,“ kommentiert eine Mitarbeiterin des Hauses später im Scherz. Man glaubt es ihr.

 

Die Twittergruppe setzt sich in Bewegung, die Haupttreppe hinauf. Wir mussten uns dieses Mal alle bei den Kulturkonsorten um einen Platz bewerben und ich hatte Glück, dass auch Blogger erwünscht waren. Denn David Shrigley hat sich für seine erste Ausstellung in Deutschland etwas ganz Neues, eigentlich ganz Altes einfallen lassen: Eine Skulptur, von der es nur gezeichnete, geschriebene und gesprochene Aufzeichnungen geben soll. Wie vor 1840, erklärt er, als es noch keine Fotografie gab. Ein interessanter Ansatz in der Zeit allgegenwärtiger fotofähiger Apparate, in der die Abbildung präsenter ist als der Gegenstand selbst. Die Mona Lisa kennen deutlich mehr Menschen von Fotos als aus dem Louvre, das eigentliche Kunstwerk ist im kollektiven Gedächtnis der Kopie gewichen. Von Shrigleys Werk wird es also nur Texte und Zeichnungen von eingeladenen Gästen geben, die Skulptur selbst wird vor der Ausstellungseröffnung zerstört. Richtig gelesen, zerstört. Wie, das werde ich ihn noch fragen. Die fertige Installation wird auf jeden Fall Secret Sculpture heißen.

 

Zeichnen erwünscht! Hier darf man sich bedienen.

Wir versammeln uns in einer Art Vorzimmer, in der Zeichenmaterialien auf einem Tisch ausgebreitet sind und zur freien Verfügung stehen. Die Vorgabe an die Zeichner ist: Hochformat, DIN A2, lasst euch von der Skulptur inspirieren. Noch einmal wird uns das Konzept erklärt. Drawing heißt die Ausstellung, deren Teil der Secret Room sein wird, das Zimmer, in dem jetzt die Skulptur steht und während der Ausstellung nur noch die Zeichnungen zu sehen sein werden. Zeichnen, dafür ist Shrigley bekannt, darum geht es in diesem Kunstwerk. Also los!

 

Und dann steht mitten im Raum ein übergroßes, vereinfachtes Skelett mit weißen Haaren, den rechten Fuß auf einen Würfel gestellt, stolz und ganz in Weiß bis auf das schwarze Innere seines Kopfs. Ein Skelett, das aus einer Skizze Shrigleys in die dreidimensionale Welt getreten ist, nur um von den Zeichnern, die sie umgeben wie bei einem Zeichenkurs, wieder auf Papier gebannt zu werden. Schlau. Unerwartet. Aber nun, da man es sieht, irgendwie doch die einzig sinnvolle Besetzung für dieses Projekt.

 

Ich drehe eine Runde um die Skulptur. Keiner spricht. Einige tippen schon in ihre Handys und zum ersten Mal auf einem solchen Tweetup komme ich mir ausgeschlossen vor, so ganz ohne Zugang zur digitalen Ebene des Events – normalerweise führt uns jemand herum und ich weiß, dass seine Kommentare dann so oder ähnlich im Internet landen, ich habe eine Vorstellung davon, wie das aussieht. Hier nicht. Hier würde ich gern wissen, was die anderen gerade denken, ob sie enttäuscht sind von der sehr einfachen Skulptur oder ob sie so begeistert sind, dass sie sich am liebsten einen Zeh davon mitnehmen würden. So aber – Stille.

 

Einige der ersten Zeichnungen.

Shrigley steht wieder etwas abseits, groß und bleich. Man weiß nicht genau, was er eigentlich macht, ob er gerade Wache hält, seinen berühmten schwarzen Humor bereits um ein neues Projekt kreisen lässt oder sich einfach nur auf sein Abendessen freut. Ein absolutes Pokerface. Ich sehe, wie eine aus unserer Gruppe zu ihm geht und ihn etwas fragt. Fünf Schritte und ich stehe daneben.

 

Der Künstler erklärt gerade, warum er seine Skulptur The Spectre getauft hat: „Spectre ist ein Wort für Gespenst, mit einem unheimlichen Beigeschmack. Die Skulptur von einem Geist wird durch ihre Zerstörung selbst gewissermaßen zum Geist.“ Wie ihn die Tatsache, dass sie zerstört wird, beeinflusst habe, frage ich ihn. Na ja, antwortet er, es sei eine mit Gips ausgekleidete Konstruktion aus Stahl, dadurch sei sie nicht so schwer kaputtzumachen. Auch habe er sie nicht besonders sorgfältig verputzt, Zeichnungen seien eben nachsichtiger als Fotos.

 

Und wie wird er sie zerstören? „Auseinandernehmen,“ sagt er, „und dann mit einer Säge in kleine Stücke schneiden und in den Müll werfen.“ Kühl und klinisch klingt das, wie die Sezierung einer Leiche. Unspektakulär. Andererseits kann ich mir auch nicht wirklich vorstellen, dass dieser nach außen hin so ruhige Künstler sich mit einem Schrei und einem Roundhouse-Kick auf seine Skulptur stürzt und sie dann zu Bröseln zertrampelt. Ich wage einen kleinen Scherz: Ob er denn die Stücke nicht als Souvenirs verkaufen wird? Er antwortet leiser und ernsthafter denn je: „Nein, keine Souvenirs. Alles wird weggeworfen.“

 

Bei einem weiteren Rundgang um Shrigleys weißgelocktes Skelett sehe ich mir die entstehenden Bilder genauer an. Ein Zeichner malt zum Beispiel mit bunter Kreide, ein anderer hat nach seiner ersten abbildenden Aquarellzeichnung mit einer zweiten begonnen, die das Skelett als lebendigen Menschen zeigt: einen Mann mit langen weißen Haaren, der einen graublauen Anzug trägt.

 

Weitere Zeichnungen – auf der rechten steht: "These lines should all have gone somewhere else."

Inzwischen haben auch einige Twitterer ihre Smartphones gegen ein Blatt Papier und Stifte getauscht und malen konzentriert  an ihrem Beitrag zu Shrigleys Werk. Ich überlege, ob ich mich ihnen anschließen soll und entscheide mich dann schweren Herzens dagegen. Die Zeichnung ist einfach nicht mein Medium. Ein trauriger Nachgeschmack aber bleibt – ich werde schließlich nie wieder die Möglichkeit haben, eines meiner Werke in der Pinakothek der Moderne ausgestellt zu sehen. Schade eigentlich…

 

Zum Glück wird zum Ende des Tweetups getrommelt, bevor ich es mir anders überlegen kann. Wir verlassen den Secret Room und bekommen im Vorzimmer noch einige der Zeichnungen zu sehen – und zu fotografieren – die schon fertig sind. Der Rest, so Kurator Dr. Schwenk, sei dann ab der Eröffnung zu bestaunen. Er bedankt sich, wir bedanken uns, und schon geht’s raus in den kühlen Frühlingsabend. Shrigley also. Seltsamer Typ. Kluge Inszenierung. Ich bin gespannt, wie’s aussieht, wenn alle Bilder gemalt und das Skelett zerschnitten in einer Tonne liegt. Bis bald also, Pinakothek der Moderne!

 


DAVID SHRIGLEY. DRAWING in der Pinakothek der Moderne, München, 11.4. – 10.8.2014.
Öffnungszeiten täglich außer Mo. 10.00 – 18.00 Uhr, Do. 10.00 – 20.00 Uhr.

 

Weitere Beiträge zum Tweetup:
Eine Zusammenfassung auf Storify
#shrigpin: Das Lookbook zum Tweetup
Tweetup mit David Shrigley in der Pinakothek. Eine Annäherung in vier Akten.
Tweetup #Shrigpin @Pinakotheken @davidshrigley @kulturkonsorten
#Shrigpin – ein irres Tweetup in der Pinakothek der Moderne


von barbara am 10.Apr.2014 in kultur

2 Kommentare


  1. Barbara, was für eine tolle Beschreibung. Ich habe das Tweetup verfolgt und schon den ein oder anderen Bericht gelesen. Jeder ist anders, was dieses Projekt u.a. so spannend macht. Heute, beim Lesen deines Artikels, wurde ich richtig motiviert beim nächsten München-Besuch die Ausstellung unbedingt anzuschauen! Ich bin gespannt und freu mich drauf! Danke dafür. Claudia

2 Links


  1. Von kulturimweb.net am 16. April 2014 um 12:38

    [...] Gezeichnete, geschriebene und gesprochene Aufzeichnungen sind erlaubt. Das Gespenst aber scheut sein fotografisches Abbild. In seinem Sinn verbietet Künstler David Shrigley Fotografien der Skulptur “The Spectre” und bittet gleichwohl in den “Secret Room” in der Pinakothek der Moderne. Ausgerechnet zu einem Tweetup – einer Veranstaltungsform, die Geheimnisse meidet wie der Teufel das Weihwasser. schreibstoff.com [...]

  2. Von finally-me.com am 13. Mai 2014 um 14:29

    [...] auf das Format: hochkant, DIN A2. Zusätzlich durfte eine Gruppe Twitterer und Blogger, zu denen auch ich gehörte, die Skulptur sehen und beschreiben. Dann wurde sie zerstört. Nun hängen in Raum 2 nur [...]

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