Mal so richtig rot sehen – auf dem Tweetup im Geiger Archiv

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Brocken getrockneter Farbe wie sie Geiger gerne für Collagen verwendete. Foto: Schreibstoff

Ein Tweetup bei Rupprecht Geiger? Da muss ich erstmal googlen. Nicht wegen Geiger, nein; vor den grellbunten Werken des Münchner Künstlers habe ich schon ein paar Mal Farbe getankt. Aber Tweetup? Die Kulturkonsorten, eine Münchner Gruppe rund um Kunst und digitale Kommunikation und Organisatoren des Tweetups, helfen mir auf ihrer Webseite weiter: Bei einem Tweetup präsentiert sich eine kulturelle Einrichtung und lädt die Besucher zum Twittern und Bloggen ein. Dieses Mal das Archiv Geiger. Klingt spannend, oder auf gut Bayrisch: Da simma dabei.

 

Diesen Montag also, pünktlich um kurz vor halb sieben biegen mein Begleiter und ich auf eine Dorfstraße, die knapp eine Spur breit und eng von Büschen und Zäunen eingefasst ist. Ein paar Meter noch, dann sehen wir auch schon das Archiv Geiger, früher Geigers Atelier, und parken auf dem Bauernhof ein paar Hausnummern weiter. Wir sind in Solln, am südlichen Rand von München, aber von der Stadt merkt man hier nichts mehr. Das Archiv ist von Bäumen umringt, alles ist grün, schattig, still. Ein Schotterweg führt uns zum Eingang und wir klopfen an die Tür. Von Menschen mit Handys erstmal keine Spur.

 

Das Archiv Geiger. Foto: Schreibstoff

Es vergehen noch fünf Minuten, in denen wir neugierig durch die Glasfront in den mit Geigerwerken dekorierten Raum blicken, dann wird uns die Tür geöffnet und wir werden von Julia Geiger und Sandra Westermayer begrüßt. Julia ist die Enkelin des „Magiers der Farbe Rot“, der 2009 im Alter von 101 Jahren verstorben ist. Sandra macht hier normalerweise die Führungen. Auch für die beiden ist es das erste Tweetup. „Wir wissen gar nicht so richtig, was uns erwartet“, sagt Julia. „Aber wir sind schon ganz gespannt. Und ein WLAN-Netz haben wir auch eingerichtet.“

 

Während wir auf die anderen Teilnehmer warten, unterhalten wir uns. Julia erzählt, dass ihr Großvater gerne draußen in seinem verwilderten Garten war. „Manchmal mussten wir ihn regelrecht zwingen, das Gras schneiden zu lassen“, sagt sie. So sehr er die Natur liebte, so weit entfernte er sich aber in seiner Kunst von ihr. „Die Farbe Grün hat er bis auf wenige Ausnahmen vermieden, weil sie zu stark an Wald und Wiesen erinnert“, so die Enkelin. Rupprecht Geiger war ein Meister der Abstraktion, und Farbe war sein Motiv – Farbe allein.

 

Ein Werk Rupprecht Geigers. Foto: Schreibstoff

Schon bald schließen sich uns ein paar Menschen mit gezückten Smartphones an, auch ein iPad und einige Spiegelreflexkameras sind am Start. Mit Block und Stift leistet mir eine andere Bloggerin Gesellschaft, da komme ich mir nicht ganz so altmodisch-analog vor. Auch im Web wartet man schon auf den Beginn der Führung – wir sind spät dran. Einige körperliche Besucher fehlen noch, aber da wir die virtuellen sonst verlieren, fangen wir schon mal an, natürlich nicht ohne ein entsprechendes „Signal in den digitalen Raum“, wie es der Kulturkonsorte Christian so schön formuliert.

 

Rupprecht Geiger also. Um uns herum ist alles bunt. An den Wänden hängen Bilder, die greller leuchten als Neonschilder in Las Vegas. Verschiedenste Rottöne, und auch pink, orange, gelb, manchmal blau, für Geiger alles Facetten der Farbe rot, immer strahlend, immer intensiv.

 

„Geiger hat irgendwann aufgehört, seine Bilder auf der Vorderseite zu unterschreiben“, erzählt Sandra. „Die Signatur hätte seiner Meinung nach die Farbwahrnehmung gestört.“ Ein weiterer Anhaltspunkt in der Realität verschwand, als Geiger seinen Werken nicht mehr Titel, sondern nur noch Nummern zuwies. „E52“ heißt zum Beispiel eines davon. „E“ steht dabei für das Bindemittel Eitempera, und die 52 ist einfach nur eine Zahl; sie markiert nicht einmal eine Reihenfolge.

 

Einige Werkzeuge des Künstlers Rupprecht Geiger. Foto: Schreibstoff

Allerseits konzentriertes Tippen ins Smartphone, wir Stiftehalter kritzeln auf unsere Blöcke, Photos werden geknipst, hochgeladen, kommentiert. Etwas seltsam ist das für Julia und Sandra schon, sind sie doch normalerweise viel mehr Blickkontakt von ihren Gästen gewohnt. Dafür sind aber eben auch einige virtuelle Gestalten über unsichtbare Netze mit uns verbunden. Fast etwas gespenstisch, wenn man so darüber nachdenkt.

 

Wir gehen vom ersten Raum in einen zweiten, wo wir einige der größeren Werke ansehen können. „Mit den Maßen war das so“, sagt die Enkelin und deutet auf eine Tür in den Garten, „Die Werke, die er hier produziert hat, mussten durch diese Tür passen. Länge oder Breite, eines von beiden durfte die Diagonale der Tür nicht überschreiten. Wir hatten auch Fälle, in denen wir die Hecke des Nachbarn etwas stutzen mussten, um die Bilder herauszubekommen.“

 

Als Nächstes führen uns Julia und Sandra in den Keller und damit in den sogenannten „Pigmentraum“. Hier sprühte der Künstler Farbe auf seine Leinwände, und das sieht man: der Boden ist ein Kunstwerk für sich, der Tisch und die Wände erst Recht. Auch stehen noch große Kübel und Säcke voller Farbe herum. Die Farbe ist noch nicht angerührt und sieht aus wie buntes Mehl. Knallbuntes Mehl. Hergestellt wurde sie ursprünglich zur Markierung von Raketen und Landebahnen, und tatsächlich hat man das Gefühl, man würde einen Streifen davon auch vom Mond aus noch sehen. Leider sind das hier unten die letzten Reste davon – die Farbe wird so nicht mehr hergestellt, nirgends, und mit Sorge beobachten Restaurateure die sinkenden Pegel im Pigmentraum.

 

Ein Sack gelber Farbe mit Schaufel. Foto: Schreibstoff

Wir gehen tippend, schreibend und knipsend wieder nach oben, in den ersten Raum. An der Wand hängen drei Photos. So sah der Raum, die Werkstatt aus, kurz nachdem der Künstler gestorben ist. „Aber eigentlich war es nie ganz so ordentlich“, so Julia. Geiger hat hier viele Collagen produziert, aus getrockneten Farbresten, Holzstücken, Leinwandstreifen… „Manchmal waren die nicht unbedingt als Collagen erkennbar“, erzählt die Enkelin, „Und so kam es schon mal vor, dass sich ein Besucher aus Versehen auf eine draufstellte. Da wurde Rupprecht dann immer ziemlich sauer.“

 

Rupprecht. Es ist trotz der simultanen Nachrichtenverbreitung eine sehr persönliche Führung, die hier gerade zu Ende geht. Ein paar Fragen kommen noch aus dem digitalen Raum, und Christian sagt, ohne den Blick vom Smartphone zu heben: „Wir haben eine Teilnehmerin in Wien, die twittert sich vor Begeisterung gerade die Finger wund.“ Das Tweetup ist also gut angekommen, sowohl bei uns als auch im Netz.

 

Farben im Pigmentraum. Photo: Schreibstoff

Ein paar letzte Blicke noch auf die Leinwände, ein paar letzte Photos, und wir bedanken uns bei Julia und Sandra. Dann werden die Handys, Smartphones, Kameras, iPads, Blöcke und Stifte weggepackt und wir gehen alle zusammen Essen. Wohin? In eines von Rupprecht Geigers Stammlokalen natürlich. Ganz verkneifen können wir es uns dann übrigens doch nicht – ein paar Photos vom Sollner Hof werden kurze Zeit später auch noch hochgeladen.

 


Eine Zusammenfassung der online Aktivitäten zum Tweetup kann man auf Storify nachlesen. Weitere Infos zu diesem und anderen Tweetups gibt es bei den Kulturkonsorten, einen weiteren Blogbeitrag bei Tairthea. Wer auch mal ins Archiv will, kann das am besten am Open Monday, jedem ersten Montag des Monats von 10 bis 14 Uhr.


von barbara am 22.Sep.2012 in kultur

2 Kommentare


  1. Das ist wirklich ein ganz toller Bericht! Vielen Dank dafür. Über die Block-Stift-Bemerkung musste ich besonders schmunzeln, denn so »altmodisch-analog« habe ich an meinem ersten Kultur-Tweetup im Residenzmuseum auch noch teilgenommen ;-) Am Montag war ich übrigens eine der virtuellen Gestalten (@KuWiWege), die im Archiv Geiger mit euch verbunden waren :-) Liebe Grüße, Birgit

    • barbara sagte am 23. September 2012 um 17:18

      Hey Birgit, danke, freut mich sehr, dass dir der Artikel so gefallen hat:-) Vielleicht sehen wir uns ja auf dem nächsten Tweetup! Liebe Grüße, Barbara

2 Links


  1. Von tairthea.wordpress.com am 25. September 2012 um 11:48

    [...] Schreibstoff [...]

  2. Von schreibstoff.com am 6. Mai 2013 um 11:38

    [...] ersten Raum, den wir besichtigen, hängen Bilder vom Münchner Künstler Rupprecht Geiger. Eine Twitterin mit Rucksack kommt einem gefährlich nahe – Dr. Mühling erkennt den potenziell [...]

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