On the road: The original scroll, von Jack Kerouac – ein Reisebuch

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Jack Kerouacs On the road (Ausgabe On the road: The original scroll, deutscher Titel: Unterwegs: Die Urfassung) wurde mir auf einer langen Nachtbusfahrt als die „Bibel der Backpacker“ ans Herz gelegt, weshalb ich es erstmal konsequent ein paar Monate lang ignorierte. An einem verregneten Nachmittag in Oslo allerdings fiel es mir bei einem Bücherschlussverkauf in die Hände und ich muss zugeben: Die umgerechnet fast zehn Euro waren gut investiert.

 

In 1957 zum ersten Mal erschienen, wurde vor fünf Jahren zum 50sten Jubiläum die volle, unzensierte und bis auf ein paar Tippfehlerkorrekturen kaum angerührte Originalversion von Jack Kerouacs On the road herausgebracht. Kerouac hat dieses Buch angeblich in drei Wochen unter erheblicher Koffeinzufuhr auf eine zusammenhängende Rolle Papier getippt. Danach wurden in jahrelanger Überarbeitung die echten Namen durch Fantasienamen ersetzt, Absätze eingezogen, und teilweise auch Sätze ergänzt und verändert, um die Erzählung etwas literarischer anmuten zu lassen. Kurze Zeit nach dem Druck hat dieses Buch dann die Herzen der amerikanischen Jugend der 60er Jahre erobert wie sonst keines. Es folgte ein Massenexodus auf die Straßen Amerikas, und Kerouac wurde als der Begründer einer Jugendkultur gefeiert, die kreuz und quer durch das Land und die Welt unterwegs war, hemmungslos von einem Moment zum nächsten hechtend. Die literarische Bewegung dazu ist bekannt geworden als „Beat“, und die Musik mit der sie Hand in Hand geht ist Bebop, eine Unterart von Jazz. Der Mythos des amerikanischen Roadtrips und dessen Verbreitung gründet auf diesem Buch; so wird es zum Beispiel auch oft als Grundstein des Filmgenres „Roadmovie“ bezeichnet, das sich von Easy Rider über Paris, Texas bis zu Thelma and Louise erstreckt.

 

Worum geht es nun in On the road: The original scroll? Jack Kerouacs Vater ist gerade gestorben und er selbst hat eine lange Krankheit hinter sich, als er Neal Cassady kennenlernt, einen Ex-Autodieb, der lebt wie ein Verdurstender Wasser trinkt. Cassadys Energie und Begeisterung reißen Kerouac aus seiner Starre und er begibt sich auf die Reise – er ist „on the road“, er ist „unterwegs“. Von einem Ende Amerikas zum anderen und wieder zurück, nicht nur einmal, und am Schluss sogar auf nach Mexiko, so geht es mit Cassady und hinter Cassady her. Manchmal trennen sich die Wege, oft lösen sich die Protagonisten und andere Mitreisende im Jazz auf, Frauengeschichten, Alkohol und Drogen gibt es ohne Ende, und das Geld ist immer kurz vor dem Auslaufen; aber so lange der Tank voll ist, geht es in Höchstgeschwindigkeit voran, und das im Rhythmus einer aufs Leben übertragenen Jazzimprovisation. So wird auch geredet und gelebt, oft tagelang ohne Schlaf, immer weiter und weiter und weiter. Mal lässt sich Kerouac fast mit einer Frau und ihrem Sohn nieder, sieht sich schon als Baumwollpflücker für immer, dann kommt der Winter und mit ihm ein neuer Reiseschub, Reiseanfall muss man schon fast sagen. Die Straße ruft. Mit aufgerissenen Augen geht es weiter, auch oder sogar vor allem mitten in der Nacht, betrunken und ecstatisch philosophierend. Die Leseerfahrung ist ähnlich wie diese Reise; im ganzen Buch ist kein einziger Absatz zu finden, die Sätze fließen teils ineinander, Gedankenfetzen reiht sich an Sinneseindruck reiht sich an Dialog. So schnell wie Cassady redet und begeistert von einem psychischen Höhepunkt zum nächsten flitzt – mal musikalisch oder sexuell bedingt, mal einfach aufgrund der Nachtluft, die nach Leben riecht – so schnell kann man ihm kaum folgen, und so geht es auch dem Erzähler Kerouac. Berauscht von Cassady und seinen Ideen, seinem Wahn, so fliegt auch er dahin, saugt alles auf, nimmt alles mit, rennt besessen weiter durch Amerika als würde er auf heißen Kohlen laufen.

 

[It was time for] the purity of the road again… the purity of moving and getting somewhere, no matter where, and as fast as possible and with as much excitement and digging of all things as possible. We roared off—
(Anm.: to dig something = hier: auf etwas abfahren; to roar off = davonrauschen)

 

Manchmal ist es schwer, das Buch aus der Hand zu legen, allein schon weil es keinen guten Platz für eine Pause gibt, keinen Absatz und kein Kapitelende, an dem sich das Lesezeichen einhaken kann. Andererseits ist es auch egal, wo genau man zu lesen aufhört und wo man wieder anfängt. In diesem Strom kann man einen Satz ruhig doppelt lesen oder überspringen, und wer am Schluss noch weiß, wer von den vielen Mitreisenden und Stehenbleibenden, von den noch ein Stück Mitreisenden und wieder Verschwindenden, vorallem aber wer von den Frauen denn nun welche ist und welche nun von wem ein Kind hat oder nicht, dem sei gratuliert. Ein Gesamteindruck bleibt; der fantastische Weg, den der Leser allein schon auf dem Sprachfluss zurücklegt, windet sich durch die Gehirnbahnen.

 

Und wer nicht schon unterwegs ist, dem jucken spätestens nach dieser Lektüre die Füße – raus in die Welt, raus, raus, den Asphalt unter den Reifen knirschen hören. Aber wohin denn nun eigentlich? Diese Frage wird in On the road nicht gestellt. Ankommen und wieder losfahren, nicht lange an einem Ort verweilen, aber definitiv alle Partys und Jazzkonzerte mitnehmen, das zählt. Ob der Weg das Ziel ist? Auch darüber kann man sich streiten; der Drang, konstant unterwegs zu sein, führt hier zu keiner höhergeordneten Erkenntnis, zu keiner inneren Ruhe in der Bewegung, und ist zudem fast mehr körperlich spürbar als psychisch bedingt. Mein Eindruck also: Der Weg ist der Weg ist der Weg.

 

Viel Spaß beim Reisen.


von barbara am 17.Jun.2012 in kultur

5 Kommentare


  1. chris sagte am 19. Juni 2012 um 20:08

    Habe letzte Woche die gerade im Kino angelaufene Verfilmung gesehen, die mich schon verdammt gefesselt hat. Nach dieser tollen Rezension führt aber wohl endgültig kein Weg mehr an der Lektüre der literarischen Vorlage vorbei. Ich bin gespannt und freu mich aufs Lesen. Danke

  2. barbara sagte am 21. Juni 2012 um 15:18

    Danke auch! Der Film ist also empfehlenswert? Dann muss ich ihn gleich mal auf meine “to see” Liste schreiben.

    • chris sagte am 23. Juni 2012 um 21:59

      Also ich habe natürlich das Buch noch nicht gelesen und konnte daher in der Richtung nicht enttäuscht werden oder so. Ganz unvoreingenommen fand ich denn Film aber echt gut. Ästhetisch, atmosphärisch, cool.

  3. Awesome reveiw Barbara (thanks google translate), I love the way you make your writting come alive x

  4. and how I cant spell writing first time…..

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