Chai Limited #1: Nepal – Reise zum Dach der Welt

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Almut und Fabian in Nepal

Februar 2011

 

Es konnte ja nicht einfach Italien sein. Oder Frankreich. Oder vielleicht auch noch Istanbul oder so. Nee, nee, es musste ja direkt Nepal und Indien sein. Ich wollte das eigentlich schon lange. So eine Reise machen. Warum? Keine Ahnung.

 

Ich bin Fabian, 24 Jahre alt. Bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, adoptiert und meine leibliche Mutter, die ich nicht kenne, ist Inderin. Ich dachte, wenn ich schon meine Mutter nicht kennenlernen kann, so möchte ich doch wenigstens das Land besuchen, aus dem sie stammt. Reise zu meinen Wurzeln? Ja vielleicht… mal sehen. In erster Linie will ich etwas, das mich herausfordert. So eine Reise hatte ich noch nie gemacht und es ist eben mal nicht die Ostsee.

 

Ich werde mit einer Freundin reisen. Sie bot mir an, mitzukommen. Ich sagte zu, buchte den Flug und zackbumm, hier sind wir nun.

 

4.August 2011, Berlin/ Neu Delhi

 

Als ich mich am Flughafen von meinem Freund und Deutschland (und gefühlt auch von der Welt) verabschiede, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob Asien nicht vielleicht doch noch etwas hätte warten können. Im Flugzeug erkläre ich mich dann für total bescheuert und will nur noch zurück. Urplötzlich bin ich wieder 7 Jahre alt, traue mir nichts mehr zu und muss mit meiner Klasse auf Klassenfahrt, obwohl ich viel lieber zu Hause bleiben möchte.

 

Wir fliegen über Moskau nach Neu-Delhi, von dort soll es dann weiter nach Kathmandu gehen und von da wird unser vorläufiges Ziel Bhaktapur sein. Als wir in Neu-Delhi landen, sind wir fast 24 Stunden auf den Beinen. Meine Augen haben Ringen bis zu den Füßen und meine Kontaktlinsen brennen. An der Passkontrolle schlägt mir eine harte, unfreundliche indische Art entgegen, gegen die auch kein Lächeln und nichts sonst hilft – außer vielleicht Geld. Almut, meine Mitreisende, hingegen, mit ihrer hellen Haut und ihren blonden Locken ist der Blickfang schlechthin. Die Männer starren sie unverhohlen an.

 

Nachdem wir aus dem Flughafen heraustreten, schlägt uns eine Wand aus Hitze, Feuchtigkeit und stickiger Smogluft entgegen. Binnen Minuten bin ich klatschnass geschwitzt. Es sind 35 Grad – und das um 3 Uhr nachts. Die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch und der Sauerstoffgehalt gefühlt gleich null.

 

Am nächsten Morgen, nach einem notwendigen 14-Stunden-Schlaf, wache ich in einem harten aber guten Bett in Patan auf, einem Städtchen ganz in der Nähe von Kathmandu. Draußen ist das Hupen von Autos, Kindergeschrei und Hahngekrähe zu hören, obwohl es schon Mittag ist und die Luft schwüle 34 Grad hat. Moment, wo bin ich noch mal? Ach so… Nepal.


Gestern auf dem Flug von Neu-Delhi nach Kathmandu ging es mir total komisch. Auf der einen Seite freute ich mich unheimlich, etwas Neues zu erleben. Auf der anderen Seite kam ein heftiges Vermissen von Deutschland, meinen Leuten und meinem Freund auf, das ich bisher so nicht kannte. Und neben mir eine stets gut gelaunte Almut, die lebhaft erzählte und sich auf alles schlichtweg freute. Wir kamen in Kathmandu an und als wir durch die Wolkendecke brachen, sah ich unter mir ein Meer von kleinen Häusern mit endlosem, satten Grün drumherum. Regenwolken und Berge. Die Fahrt mit einer Rikscha nach Patan, die wir mutig auf 4 Euro herunterhandelten (für den Fahrer der Jackpot des Tages) war hektisch, hupend und laut. Unzählige Menschen, Kühe auf der Fahrbahn, Äffchen, Kinder, schöne Gesichter, hässliche Menschen, Frauen im Damensitz auf ihrem Mofa, Basar überall, bunt. Es roch nach Benzin, Staub, Bratfett von den Straßenständen, Kardamom, und Räucherstäbchen.

 

Um vier Uhr nachmittags fängt es an, in Strömen zu regnen. Die Hitze schwindet endlich, der Staub und Gestank senkt sich ab und plötzlich steht man knöcheltief in einem Wasserschlamm aus Kuhscheisse, Erde und ich-will-nicht-wissen-was. Nach langer Suche und mutigem Fragen haben wir endlich ein Guesthouse gefunden, das so unverschämt günstig ist, dass es einen Haken haben muss. Am nächsten Tag ist klar welcher: Es regnet durch die Decke und ich habe Flöhe.

 

20. August 2011, Bhaktapur

 

Taumadi Square in Bhaktapur

Nun bin ich schon etwa 15 Tage in Nepal und kann mittlerweile behaupten, so etwas wie einen Alltag hier zu haben. Gerade sind wir in Bhaktapur, einer wunderschönen, mittelalterlichen Stadt, erbaut aus rotem Sandstein und mit dem höchsten Tempel Nepals. Wir wohnen im Nyatapola Guesthouse (ich versprach Werbung dafür zu machen).

 

Die Herbergsmutter ist eine hübsche, wohlgenährte Frau, in ihren besten Jahren, die über ihrem Laden ein paar Zimmer vermietet. Das Guesthouse verspricht vier Sterne, in Deutschland wäre es wohl nicht mal ein halber. Am Anfang tangierte mich noch jegliches Fehlen von Luxus, mittlerweile habe ich mich selbst an Dinge gewöhnt, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt.

 

So zum Beispiel die vollständige Abstinenz von Klopapier und Toilettenschüsseln. Zur Verfügung stehen ein Loch im Boden, ein Eimer mit Wasser und die eigene Hand. Aber nur die linke verwenden, bitte, mit der rechten Hand isst man, diese gilt als rein. (P.S.: man kann Klopapier kaufen, doch es kostet umgerechnet 4 Euro, wofür ich mir hier 3 Nächte im Guesthouse leisten könnte, 8 volle Mahlzeiten oder 25 (!) Zigarettenpäckchen.)

 

Oder aber auch Kakerlaken so lang wie mein Mittelfinger. Die man übrigens, nachdem man sie getötet hat, verbrennen sollte, da die Mistviecher noch nach dem Sterben Eier ausbrüten können.

 

Pflaster gibt es hier übrigens auch so gut wie keine. Sollte man eine Wunde haben, so gibt es eine „Wundsalbe“, bestehend aus Senföl, das über Feuer zu einem schleimigen Kohleölgemisch verbrannt wird und dann auf die Wunde kommt. Und: Es hilft! Es wird sogar in die Augen gerieben, was aussieht wie der beste Kajal überhaupt…

 

Dem gegenüber steht aber ein ganz anderer Luxus, den man hier in Deutschland nicht kaufen kann und für den ich gerne auf den Standardluxus verzichte: Ich esse hier jeden Tag saftige, goldene Mangos, die auf der Zunge zergehen. Trinke Chai, einen Tee, der aus Mandeln, Schwarztee, Milch, Kardamom, Zimt, Vanille und unendlich viel Zucker besteht. Esse Teigtaschen, die mit Büffelfleisch, Kartoffeln und Kichererbsen gefüllt sind. Sehe Bilder und mache Erfahrungen, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, weil sie so einzigartig sind, dass man sie kaum auf Fotos festhalten kann. Orange gekleidete Frauen, die in grasgrünen Reisfeldern ernten. Kinder, die mit Kälbchen kuscheln und dir hinterherlaufen, um dir für wenige Rupien selbstgepflückte Guaven zu verkaufen. Tempel, so überladen an Prunk und Gold, dass deutsche Kirchen wie Flüchtlingslager für Gläubige wirken. Die Fahrt auf dem Dach eines überfüllten Busses, mit der besten Aussicht auf die Berge und die Weite des Kathmandutals, ja wo gibt’s denn sonst bitte so ‘ne Freiheit?

 

Buddhistische Gebetsmühlen im Golden Temple in Patan

Sowieso sind die Menschen hier viel näher am Leben dran. In Deutschland findet das Leben hinter den Mauern, in kühlen Wohnungen mit Einbauküche, Pfannenwender und Badvorleger statt. Und wenn man das Haus verlässt, geht man sofort wieder in eine andere begrenzte Hülle, sei es U-Bahn, Auto oder Bus, dann geht man wieder in ein anderes Gebäude usw.

 

Hier setzt man sich auf die Straße und trinkt Chai. Kein Dach, keine Wand um einen herum, einfach nichts. Regnet es, dann wird man eben nass. Scheint die Sonne, dann wird man eben wieder trocken. Man isst auf der Straße, kauft und verkauft auf der Straße, trifft sich auf der Straße, lebt, gebärt, stirbt auf der Straße. Und dennoch oder gerade deshalb: Lächelst du hier, so lächeln sie zurück, nicht aus Höflichkeit, sondern aus Freude und Direktheit in ihrer Art. Alles viel simpler, aber überhaupt nicht primitiv.

 

All dies klingt vermutlich wie ein softes, esoterisches Kindermutmachlied auf Nepal und das Leben. Und sicherlich, Leid ist da, an allen Ecken, viel Leid, viel Krankheit und Armut. Aber das Bild, das man mitnimmt, ist eben nicht das des Leides.

 

Wir sind in der Zeit des Festivals „Gai Jatra“ nach Nepal gekommen. Ein Fest an dem jede Familie einen Ahnenbaum bastelt, eine Art Schrein mit Fotos der Verstorbenen der letzten Zeit, den sie dann in einer Prozession durch die Stadt tragen. Dadurch ist die Stadt geladen voll von Menschen.

 

Aufgrund des Studentenprojekts von Almut dürfen wir an so einer Prozession teilnehmen, wozu wir uns die Gesichter bunt malen, einen Stocktanz einstudieren, der aus wenigen Takten besteht. Wir trinken uns kurz vor der Prozession mit Reisschnaps Mut und Heiterkeit an und kiffen mit Nepali-Studenten, was zur Folge hat, dass sich alle übergeben müssen. Bis auf uns, die Sterni-Export-Katerholzig-Gras erprobten Urbanesen aus Berlin. Nepali, von Haus aus meist gläubige Hindus, trinken nämlich keinen Alkohol, mit einer Ausnahme im Jahr – heute. Und das nutzen sie verständlicherweise aus. So wird in den Straßen, getanzt, gekotzt, gesungen, gesoffen und gefeiert.

 

Hätte man mir vor der Reise erzählt, welcher Dreck, welche Hitze, welche ekelhaften Gerüche, was für ein Heimweh mich anfangs umgeben würden, ich wäre nicht aufgebrochen. So aber sitze ich auf dem Dach unseres Guesthouses, genieße den letzten Abend und denke, einen Dübel rauchend, noch mal zurück an die Erlebnisse der vergangenen Wochen.

 

Himalayamassiv

Eigentlich wollte ich auf der Reise mit dem Rauchen aufhören und nur noch „gelegentlich“ kiffen.  Dies hat bedauerlicherweise zur Folge, dass ich hier das Rauchen quasi durch Kiffen ersetzt habe. Heute hat das aber seine Rechtfertigung: Erstens ist heute der letzte Abend hier, zweitens habe ich mir heute den ersten Sonnenbrand meines Lebens eingefangen und drittens habe ich heute den Mount Everest gesehen. Zwar nur sehr klein, aber zumindest weiß ich nun, dass es ihn wirklich gibt.

 

Morgen werden wir nach Indien aufbrechen. Mit dem Bus. 17 Stunden Fahrt. Erst Varanasi, dann das Taj Mahal und dann mal sehen wie viel Zeit wir noch haben.

 

Alle Nepali warnen uns vor dem großen Riesen Indien. Sodom und Gomorrah herrschen dort. So sagt man. Na, dass kann ja heiter werden. Aber ich bleibe locker, take a deep breath of the gras in my hand und höre „Break on through (To the other side)“ von den Doors. Na also. Es geht doch…

 

 


Über den Autor:
Fabian ist zurzeit Student der Philosophie und Politikwissenschaft in Potsdam und spielt leidenschaftlich Theater.


von gastautor am 28.Aug.2012 in globus

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